Von Null auf Krise in vier Tagen: wurde am Abend des 21.5.2011 die Schuld für das verstärkte Auftreten schwerer bakterieller Durchfallerkrankungen in Norddeutschland noch bei den üblichen Verdächtigen gesucht, rückten einen Tag später Obst und Gemüse in den Fokus der Epidemiologen. Von da ab war es nur noch ein kleiner Sprung hin zu reißerischen Verzehrswarnungen, die bei Kantinen- und Supermarktkunden gleichermaßen zu einem Rohkostboykott führten.

Ungewollt markierte das Robert Koch-Institut am 25.5.2011 einen der Höhepunkte der weiteren Entwicklung. Verschiedene Presseagenturen deuteten die Empfehlung des Bundesinstituts „vorsorglich bis auf Weiteres Tomaten, Salatgurken und Blattsalate insbesondere in Norddeutschland nicht roh zu verzehren“ um in ein „Tomaten, Salatgurken und Blattsalate aus Norddeutschland“.

„Es sind die Sprossen“, verkündete Prof. Dr. Reinhard Burger, Direktor des Berliner Robert Koch-Instituts schließlich am 10.6.2011. Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann bezeichnete im Nachrichtenmagazin `Focus´ den Bienenbütteler Bienenhof vielsagend als „die Spinne im Netz“. So erdrückend die Indizienlage auch gewesen sein mag, hatte die Theorie jedoch von Anfang an einen Haken: In keiner der auf dem Hof gezogenen Proben konnte der gefährliche Darmkeim O104:H4 nachgewiesen werden.

Der Sprossenbetrieb wurde stillgelegt, die EHEC-Welle ebbte ab und Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr verkündeten unisono, dass sie die Infektionsquelle „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ gefunden hatten.

„Es sind die Sprossen“

Prof. Dr. Reinhard Burger

Die Krise war bewältigt, Hygienevorschriften, Sicherheitskriterien und Einfuhrvorschriften wurden verschärft, 16 Mio. € Schmerzensgeld für die gebeutelten deutschen Gemüsebauern bereitgestellt – darüber gerieten dann auch die 53 Toten sowie die 3 842 teils schwer erkrankten Menschen schnell in Vergessenheit. Beklagenswert, aber in diesem Sinne nicht weiter verwunderlich, fand dann auch die von Foodwatch im Mai 2012 publizierte Analyse „Im Bockshorn“ genauso wenig Medienecho wie das Mitte Juni 2013 erfolgte Eingeständnis des Robert Koch-Instituts, dass nur ein gutes Zehntel der Erkrankungen erklärt werden kann.

Kommunikationsprofi Björn Wojtaszewski wundert das nicht: „Kommunikativ betrachtet, haben Lebensmittelskandale eine ähnliche Dramaturgie wie das klassische Drama: Ein Missstand wird bekannt. Daraufhin führt ein Schlüsselereignis zur Eskalation. Nach dem Höhepunkt des Skandals beginnt der Spannungsabfall. Konsequenzen werden angekündigt, bis schließlich die vermeintliche Normalität wieder Einzug hält. Das Paradoxe und schwierige ist, dass Krisen heutzutage im Ernährungsbereich schon fast der Normalzustand sind.

In wirtschaftlicher Hinsicht trifft es die Erzeuger dabei besonders hart. Aus kommunikativem Blickwinkel betrachtet, zählen sie meist zu den Verlierern. Das liegt auch daran, weil die Rollen im Meinungsmarkt oft vereinfacht dargestellt werden. Auf der Seite der Guten steht der Verbraucherschutz. Auf der Verursacherseite tummeln sich – im Rollenklischee der Medien – skrupellose Geschäftemacher, schwarze Schafe und Kriminelle.

Dieses Muster kann sich wiederholen, da die Bedeutung und Rolle einer aktiven Kommunikation noch immer sträflich unterschätzt werden.“ Die Ausrede, der Einzelne könne doch überhaupt keinen Einfluss auf das Geschehen nehmen, lässt Wojtaszewski nicht gelten: „Als professionell agierender Erzeuger und Unternehmer muss ich mir über mögliche Risikopotenziale in der Kommunikation rechtzeitig Gedanken machen. Aus kommunikativer Sicht setzt das jedoch voraus, dass ich beispielsweise die Möglichkeiten der Medienkommunikation erkenne. Ich kann diese auch zu meinem Vorteil nutzen und beispielsweise bereits im Vorfeld aktiv kommunizieren, um den Absatz zu fördern. Wer versteht, dass man heutzutage in die Außendarstellung investieren muss, wie in andere Produktionsmittel auch, wie in andere Produktionsmittel auch, der ist meist weiter als viele Wettbewerber.“

Wojtaszewski möchte auf keinen Fall missverstanden werden: „Wenn Todesfälle auftreten, hat der Verbraucherschutz ganz klar die oberste Priorität. Dass eine Warnung vor dem Verzehr bestimmter Nahrungsmittel dann wirtschaftliche Konsequenzen hat, ist unvermeidlich. Nimmt man den Blickwinkel der Erzeuger ein, dann müsste die Frage vielmehr lauten, was sie unternehmen können, um den Schaden mit zielgerichteter Kommunikation wirtschaftlich möglichst zu begrenzen. Aufgrund der weltweiten Markt- und Handelsstrukturen und der Vielzahl der Wettbewerber gibt es hier aber keine Patentlösung.“

Leichtsinnig wäre, darauf zu vertrauen, dass Verbände oder Ministerien im Fall der Fälle Lösungen aus dem Hut zaubern können: „Professionelles Krisenmanagement setzt voraus, dass die Betroffenen möglichst schnell und angemessen kommunizieren und den weiteren Krisenprozess verantwortungsvoll mitbegleitet.“ Die Grundsteine dafür müssen im Vorfeld gelegt werden.

Tim Jacobsen