"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Schlagwort: Subvention

Superlativ am Rhein

Der Name Engelhorn ist in Mannheim allgegenwärtig. Anfang des Jahres 1890 eröffnete Georg Engelhorn sein erstes Ladengeschäft im an den Mannheimer Planken gelegenen Quadrat O 5 – bis heute ist der Familienname in der Region ein Synonym für gehobene Einkaufserlebnisse. Ein anderer Engelhorn war nichts weniger als der Namensgeber für das Mitte des 19. Jahrhunderts höchsten Hochhauses der Bundesrepublik Deutschland. Das Friedrich-Engelhorn-Hochhaus musste 2013 zwar wegen schwerer Bauschäden abgerissen werden, Engelhorns Verdienste, die auch auf das Jahr 1865 zurückgehen, ficht das allerdings in keinster Weise an: vor ziemlich genau 158 Jahren gründete der Goldschmied und spätere Bürgerwehroberbefehlsinhaber in Mannheim die Badische Anilin- & Soda-Fabrik AG (BASF), deren Werksgelände dann allerdings auf der anderen Rheinseite gelegenen pfälzischen Ludwigshafen am Rhein angesiedelt wurde.

Und das kam so: Da infolge der durch die 1848er Revolution ausgelösten Wirtschaftskrise Engelhorns Goldschmiedewerkstatt in Schwierigkeiten geriet, suchte er sich im Sommer desselben Jahres ein anderes Betätigungsfeld. Mit zwei Partnern gründete er ein Gaswerk, das ebenfalls im Jahr 1848 die Produktion aufnahm. Und statt sich über den bei der Herstellung von Leuchtgases unweigerlich entstehenden Steinkohlenteer zu ärgern, synthetisierte er kurzerhand Anilin-Violett und andere Farbstoffe daraus, was 1861 zur  Anilinfarbenfabrik Dyckerhoff, Clemm und Comp führte. Da für die Produktion der Anilinfarben verschiedene Säuren benötigt wurden, erkannte Engelhorn schnell, dass sich die Gewinne erheblich steigern ließen, wenn der gesamte Fertigungsprozess vom Rohstoff zum Endprodukt in einer Hand liegen würde. Nachdem die angestrebte Zusammenarbeit mit dem Verein Chemischer Fabriken scheiterte, entschied sich Engelhorn dazu, die Produktion der Ausgangsstoffe in Eigenregie vorzunehmen.

Zusammen mit acht Teilhabern gründete er im April 1865 die Badische Anilin- & Soda-Fabrik (BASF). Da das bisherige Produktionsgelände zu klein wurde, wollte Engelhorn ein Grundstück am linken Neckarufer, auf der Mannheimer und damit badischen Rheinseite erwerben. Der Stadtrat war einverstanden, doch das letzte Wort hatte ein Bürgerausschuss. 42 Stimmen waren für den Verkauf des Geländes an die BASF, 68 dagegen. Noch am Nachmittag des 12. April 1865 ging Friedrich Engelhorn bei den Bauern auf der Ludwigshafener Rheinseite auf Einkaufstour. Anschließend machte er sich zügig an den Aufbau der Fabrik. Ein Glücksfall, wie sich noch öfters bestätigen würde. Nicht nur gab es linksrheinisch Platz satt, vergleichsweise früh wurde Ludwigshafen auch Schienen-mäßig erschlossen. Heutzutage werden auf dem zehn Quadratkilometer großen Werksgelände um die 39 000 Menschen beschäftigt.

Hintern den sieben Rheinkilometer, über die sich das Produktionsgelände erstreckt, verbergen sich rund 106 km Straße, 230 km Schiene und drei Bahnhöfe. Nicht weniger als 2850 Kilometer oberirdische Rohrleitungen sind auf dem größten zusammenhängenden Chemieareal der Welt verlegt und sorgen für kurze Wege beim Transport von Produkten und Energie. Wie die Rädchen ineinander greifen lässt sich am besten auf der Werkrundfahrt „Nachhaltigkeit in der Chemiestadt BASF“ in Erfahrung bringen. Wer dann noch wissen will, wie die Frische in die Zahnpasta kommt und was Sofas weichmacht, ist im 2000 m2 Visitor Center mit all seinen Wow-Momenten gut aufgehoben. Wer gerne Wein trinkt, sollte einen Stop in der BASF-eigenen Weinkellerei machen. Seit 1901 versorgt die gutsortierte Auswahl edler Tropfen Gesellschafter, Gäste und Mitarbeitende gleichermaßen.

Sechs Buslinien und rund 13000 charakteristisch rote Fahrräder sorgen dafür, dass alle auch an ihre Arbeitsplätze kommen, ausgebremst werden können sie allenfalls von den sog. AGVs. Die 16,5 m langen automated guided vehicles können bis zu 78 t transportieren. Voll automatisch dann auch das TCL, das sog. Tank Container Lager. Im Jahr 2000 ging das KVT, also das Kombiverkehrsterminal in Betrieb, seitdem wurden dort deutlich mehr als 6 Mio. Container umgeschlagen. Wenig bekannt ist, dass Ludwigshafen und die auf der anderen Rheinseite befindliche Produktionsstätte auf der durch die Rheinbegradigung entstandenen Friesenheimer Insel mit einem sich in 13 m Tiefe liegenden, begehbaren und 770 m langen Tunnel miteinander verbunden sind – eine der wenigen Unterquerungen des Rheins.

Im Nordhafen, einem von drei Häfen am Standort Ludwigshafen, kommt ein Großteil der benötigten Rohstoffe an. Eine Druckluftölsperre verhindert im Fall der Fälle den Austritt von Öl aus dem Hafenbecken. Aus Naphtha wird dann in sog. Steamcrackern unter anderem Ethen gewonnen, ein wichtiger Ausgangsstoff. Ohne den Steam Cracker 2, der ungefähr 13 Fußballfelder groß ist, läuft in Ludwigshafen so gut wie nichts. Rund vier Fünftel allen Inputs findet sich in irgendeiner Art von BASF-Produkt wieder, das restliche Fünftel wird thermisch verwertet. Mehrere Kraftwerke sorgen für die Stromversorgung des Verbundwerks, rein rechnerisch verbraucht der Standort Ludwigshafen ein Prozent des deutschen Stroms. Bis 2050 soll das Werk klimaneutral werden, bis dahin wird noch der eine und andere Kubikmeter Gas in Strom und Dampf verwandelt werden.

Nicht weiter verwunderlich ist Energie dann auch ein heikles Thema. Als Reaktion auf die Energiepreiskrise hatte BASF Anfang des Jahres bekannt gegeben,  etwa zehn Prozent seiner Anlagen am Stammsitz in Rheinland-Pfalz stilllegen zu wollen. Etwa 2500 Stellen sollen allein in Ludwigshafen wegfallen. Eine energieintensive Ammoniak-Anlage und damit verbundene Düngemittelanlagen sollen den Saprmaßnahmen zum Opfer fallen, die Nachfrage soll künftig vom belgischen Antwerpen aus bedient werden. Auf der letzten Bilanzpressekonferenz verwies BASF-Chef Martin Brudermüller darauf, dass die gesamte Chemieproduktion in Europa im vergangenen Jahr zurückgegangen sei. Machte das Geschäft in Deutschland im Jahr 2015 noch etwa ein Drittel der Gewinne von BASF aus, sei es im zweiten Halbjahr 2022 infolge der hohen Energiekosten defizitär gewesen.

Bilanztechnisch ins Kontor geschlagen haben auch die milliardenschweren Abschreibungen auf die Beteiligung am Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea. Statt 5,5 Mrd. € Euro Gewinn wie im Jahr zuvor 2022 dann ein Verlust von rund 1,4 Mrd. €. Gleichzeitig bekannte sich Brudermüller zum Stammsitz Ludwigshafen: „Wir bleiben dem Standort treu, allem Abwanderungsgerede zum Trotz und auch mit Mut zur Weiterentwicklung.“ BASF sei auf einem sehr guten Weg hin zu einer klimafreundlicheren Produktion, setze beispielsweise mehr und mehr erneuerbare Energien ein. „Doch dafür sind wir in hohem Maße von externen Faktoren abhängig“ und verwies auf den Ausbau erneuerbarer Energien und der Wasserstoffinfrastruktur. Dem Vernehmen nach investiert BASF derzeit allein zehn Milliarden Euro in einen neuen Verbundstandort im Süden Chinas – nach dem Vorbild des Werks in Ludwigshafen – oder wie Brudermüller es nennt: man könne nicht „halbschwanger“ sein.

Tim Jacobsen

Aufklärung, die Spaß macht

Zurück von weggewesen: auch bei den Kollegen einmal über den Kanal begann im letzten Jahr nach mehrmaligem Coronawinter- und -sommerschlaf wieder die Veranstaltungssaison. Einigermaßen bezeichnend, dass sich die Mund- und Nasenbedeckungen bis zum Wiedereinstieg in den öffentlichen Nahverkehr diesseits der Passkontrolle eine Pause verdient hatten, aber geschenkt: England im Spätherbst wie eine andere Welt, die Kathedralen strahlten im Dunklen um die Wette, Schlittschuhbahnen luden zur vorweihnachtlichen Ausfuhr und der Sieg der englischen Nationalelf über die Vereinigten-Königsreichs-Kollegen aus Wales wurde – public viewing at its best – ein- und ausgehend gefeiert.

Nachdenklicher stimmte, was auf der Onion and Carrot Conference (OCC) diskutiert wurde. Und damit sind nicht die Ausführungen des aus Missouri stammenden Präsidenten der US-amerikanischen National Onion Association gemeint, der in der Biden Administration den Grund für alles Übel auf der Welt sah und seinen europäischen Berufskollegen riet, doch einfach nicht zu verkaufen, wenn die Preise nicht stimmen. Erinnerte Greg Yielding mit markigen Sprüchen und Cowboyhut an die Karikatur eines Westernhelden, erfüllte David Exwood die Erwartungen an die Rede eines Bauernverbandsvizepräsidenten – wobei Häme angesichts des selbsteingebrockten Brexits mit Sicherheit fehl am Platz ist.

Nachhaltigkeit der Inflationsbekämpfung zu opfern und mit noch mehr Saisonarbeitskräften aus Nepal und Indonesien Arbeitsmarktlücken stopfen, hört sich zwar nach einem Plan an, aber einem vielleicht eher kurzsichtigen. Steilvorlage für Emeritus Tim Lang, der gemeinhin als einer der klügsten Köpfe Englands gilt. Und auf einmal waren die Probleme unserer mit Linksverkehr gesegneten Berufskollegen auch unsere: Ohne Importe geht es auch in England nicht, hüben wie drüben führt falsche Ernährung zu Riesenkosten für die Gesundheitssysteme und konzentriert sich die Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel auf eine Handvoll anerkannt profitorientierter Unternehmen.

Und da die Engländer uns normalerweise einen Schritt voraus sind, wird auch in Deutschland die Lücke zwischen der Lebenserwartung privilegierter und weniger privilegierter Bevölkerungsschichten größer werden. Die nie erreichten mindestens Fünf am Tag werden zukünftig noch mehr zu einem Luxusproblem werden und auch bei uns zeigt sich: Die Tafeln sind nicht die Antwort und können das Problem auch nicht lösen. Die Politik ist gefragt, Lang wünschte sich einen 1943er Hot Springs Moment – auch wenn eigentlich in den letzten knapp achtzig Jahren genug Zeit gewesen wäre, der seinerzeit im Rahmen der UN Conference on Food and Agriculture aufgestellten Forderung nach einer „ausreichenden und angemessenen Versorgung eines jeden Menschen mit Nahrung“ nachzukommen.

Die 2008er Wirtschaftskrise und vieler ihrer Nachfahren und Vorläufer lassen grüßen

Tim JAcobsen

Wie verzwickt das Problem ist, zeigt Langs Vergleich inflationsbereinigter Konsumentenpreise: Möhren waren 2019 halb so teuer wie 1988, Zwiebeln um die Hälfte billiger. Das Preispendel schlug zwar in den Folgejahren in die Gegenrichtung aus und spätestens mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde dann auch dem letzten klar, dass die Preise gewissermaßen durch die Decke gehen. Die Chance, folgerichtig die Erzeugerpreise neu zu tarieren, wurde jedoch verpasst, auch 2022 ließen sich Zwiebel und Möhren im Handel finden, die den Preisaufschwung seit 2019 irgendwie nicht mitbekommen hatten.

Die Antwort des LEHs lautete nämlich allgemeinhin, dass die Inflation „im Schulterschluss mit den Produzenten“ bekämpft werden müsse. Etwas, das Ged Futter dann eher als „auf den Schultern der Produzenten“ interpretierte. Der ehemalige Chefeinkäufer ist Experte für unlautere Wettbewerbspraktiken im Vereinigten Königreich und konnte jedem und jeder nur raten: Augen auf bei der Geschäftspartnerwahl. Es seien zwar unruhige Zeiten, doch – und da zeichnete sich dann auch endlich einmal eine lang erwartete gute Nachricht ab – werde die abnehmende Hand angesichts abnehmender Warenverfügbarkeit zukünftig weniger Spielraum haben und auf zuverlässige Partner angewiesen sein.

Damit ist allerdings noch nicht das Problem gelöst, dass in Krisenzeiten der Obst- und Gemüseverzehr leidet und das besonders in weniger begüterten Bevölkerungsschichten: mehr als ein Viertel aller Haushalte mit Kindern mussten in England in den letzten Monaten Mahlzeiten ausfallen lassen. Davon betroffen waren mehr als 4 Mio. Kinder. Knapp 10 Mio. Erwachsene mussten in den letzten Monaten auf die eine und andere Mahlzeit verzichten. Die Hälfte der Haushalte mit moderat bis niedrigen Einkommen machte Abstriche an den Obst- und Gemüsetheken, was zu einem Rückgang der Verkäufe um knapp ein Zehntel im Vergleich zur Prä-Covid-Zeit führte.

Schulgärten, wie von Joe Mann während der OCC angeregt, werden allerfrühestens mittelfristig für Veränderung sorgen. Deutlich schneller könnte es dann mit Simply Veg gehen, dem neuesten Streich des IPA Effectiveness-Preisträgers Dan Parker. Anders als noch in der ebenfalls sehr sehenswerten „Eat them to defeat them“-Kampagne hilft Veg Power dieses Mal dabei, mit Hilfe von simplyveg.org.uk preiswert und geschmack-voll die Klippen der „Permakrise“ ernährungstechnisch zu umschiffen. Wobei weder ausgewogen oder gesund noch regional oder saisonal im Vordergrund stehen, es klammheimlich aber dann doch tun.

Parker hatte sieben Jahre Vorlauf, die komplett privat finanzierte Kampagne rund zu bekommen. Zeit, die uns fehlt. Mit nur einem Bruchteil der einen Milliarde Euro, die als Anschubfinanzierung zur Förderung des Umbaus der Tierhaltung eingeplant sind, könnte hier Großes geschaffen werden.

Tim Jacobsen

Ausnahmezustand wird zum Normalzustand

In den Jahren seit dem Fall der Berliner Mauer war etwas in Vergessenheit geraten, dass fossile Energieträger nicht nur eine fantastische Möglichkeit sind, in Zeiten großer Nachfrage eine Menge Geld zu verdienen, sondern auch ein Furcht-einflößendes-Druckmittel gegenüber denjenigen, die davon gerne etwas abhaben möchten. Nicht unbedingt verwunderlich, spielt dann auch gegenwärtig Nachhaltigkeit nicht mehr die ganz große Rolle in der öffentlichen Diskussion und unser Wirtschaftsminister Robert Habeck muss nicht nur in den arabischen Golfstaaten eine Menge Kröten schlucken.

Selbst wenn der unterkomplexe Ratschlag lautet, nicht die eine Abhängigkeit durch die nächste zu ersetzen, sondern vielmehr die Bezugsquellen möglichst weit zu fächern, spielen neben Fragen aus der Abteilung wie-wollen-wir-leben und mit-wem-wollen-wir-Geschäfte-machen auch technische Aspekte eine große Rolle, wie die ganze LNG-Terminaldiskussion zeigt. Vor Beginn des Krieges kam etwa die Hälfte des nach Europa importierten Erdgases aus Russland, nur ein Zehntel des EU-Verbrauchs wurde innerhalb der EU gefördert. Ein Viertel der Rohölimporte stammte aus Russland, gleichbedeutend mit der Hälfte der russischen Rohölexporte und auch die Hälfte der Kohleeinfuhren stammte aus Russland.

Alternative Lieferländer stehen mit Nordafrika und der Golfregion zumindest der Theorie nach parat. Da wird es dann aber schnell hakelig. Eigentlich sind die Handelsbeziehungen Richtung Nordafrika im Allgemeinen wohl etabliert. Wenn dann aber Algerien, das auf sehr großen Erdgasvorkommen hockt, wegen Streitigkeiten in der Westsahara kein Gas mehr Richtung Marokko schickt, kann über die Maghreb-Europe-Pipeline auch keines mehr nach Spanien kommen. Um das Ganze dann noch etwas komplizierter zu machen, ist Gazprom im traditionell Russland-freundlichen Algerien auch an den dortigen Gasfeldern beteiligt.

Auch Libyen sitzt auf Gasreserven, die in verflüssigter und tiefgekühlter Form als Flüssiggas Europa erreichen. Mehr als zehn Jahre Bürgerkrieg haben jedoch auch in der Gasinfrastruktur Spuren hinterlassen, zumal die ostlibysche Bürgerkriegsfraktion wiederum auf Unterstützung aus Russland zählen kann. Ägypten hat erst kürzlich das vielleicht größte Gasfeld im Mittelmeerraum erschlossen, bis die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind, die Exportkapazitäten zu erhöhen, wird es allerdings noch dauern, zumal der Energiebedarf im eigenen Land angesichts des Bevölkerungswachstums rasant steigt.

Der Zypernkonflikt erschwert einen Pipelinebau aus dem östlichen Mittelmeerraum Richtung Südeuropa. Die Türkei selbst leitet wiederum zum einen aserbaidschanisches Erdöl nach Griechenland und Italien, ist bezüglich ihrer eigenen Energieversorgung aber stark von Russland abhängig; könnte aber hinsichtlich der Nutzung fossiler Energieträger aus dem (irgendwann vielleicht wieder Sanktions-befreiten) Iran und Irak zukünftig eine gewichtige Rolle einnehmen.

Bleiben die Golfstaaten. Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate könnten mit ihren sog. freien Kapazitäten den Ölpreis maßgeblich beeinflussen, die OPEC hielt jedoch erst an einem mit Russland vereinbarten Ölförderplan fest, um dann auf Druck der USA erst einer Erhöhung der Fördermenge zuzustimmen, um dann Mitte Oktober die Fördermenge erneut zu drosseln. Auch beim Erdgas gibt es ähnlich wie beim Erdöl mit OPEC+ ein Gas Exporting Countries Forum; LNG aus Katar geht vertraglich gebunden vornehmlich nach China und Japan, die  für Deutschland angekündigten Lieferungen haben den Umfang von wenigen Stunden Nord Stream unter Volllast.

Ungelöste regionale Konflikte gibt es auch im Nahen Osten zuhauf. Interessant ist, dass der weltweit größte Erdölexporteur Saudi-Arabien bis 2030 die Hälfte seiner Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen will. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben ähnliche Pläne, südlich von Dubai entsteht derzeit auf 77 km2 das größte Solarkraftwerk der Welt. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich dann auch beide gleichermaßen auf die Fahnen geschrieben, auf den Energiemärkten der Zukunft mit Wasserstoffexporten weiterhin an führender Stelle mitmischen zu wollen.

Geht es um kurzfristigen Ersatz russischen Erdgases, fehlen weitgehend die technischen Voraussetzungen, Gas kostengünstig aus dem Nahen Osten nach Europa schaffen zu können – von all den mehr oder weniger weit reichenden Implikationen, die damit verbunden wären, einmal abgesehen. Zwar standen vor dem Beginn des russischen Invasionskriegs ähnlich wie in der Golfregion auch in Europa die Zeichen auf Energiewende und wenn sich auch diese Dynamik sich seit dem 24. Februar 2022 noch einmal beschleunigt hat, hat der Energieplan der Europäischen Kommission Lücken, die sich nur mit Hilfe der Golfstaaten schließen lassen werden. Langfristig wird es ohne die Golfstaaten nicht gehen können.

Ob und wie weit diese Entwicklungen von Russland bei der Entscheidung zur Invasion der Ukraine bereits mit-eingeplant waren, wird sich wahrscheinlich nie zur Gänze klären lassen. Analysten beobachten allerdings schon seit längerem einen Ausbau russischer Energiebeziehungen Richtung pazifischer Raum. Ob das Kalkül aufgeht, muss die Zukunft zeigen – Fakt ist: China importiert unbeirrt von den westlichen Sanktionen munter weiter Öl, Kohle und Gas aus Russland (wobei wir Deutschen die letzten sind, die deswegen ein Fass aufmachen sollten). Die lange gemeinsame Grenze verbindet, dennoch stammt der Großteil der chinesischen Energieimporte nicht aus Russland, auch wenn die beiden Länder neben der Power of Siberia auch eine Ölpipeline durch Kasachstan sowie die Ostsibirien-Pazifik-Pipeline verbindet.

Auch Japan, Südkorea und Vietnam sind dankbare Abnehmer russischen Flüssiggases. Malaysia, Indonesien und Australien sind die einzigen Nettoenergieexporteure im asiatisch-pazifischen Raum. Malaysia ist nicht nur der fünftgrößte Flüssiggasproduzent der Welt, das Land liegt an der Straße von Malakka zudem geostrategisch äußerst günstig. Indonesien ist der weltweit größte Kohleexporteur, ein Großteil der gegenwärtig erzielten Mehrerlöse wird dazu verwendet, den Energieverbrauch im eigenen Land zu subventionieren. Indien leidet stark unter den Energiepreissteigerungen, die gewissermaßen ungefiltert an die Bevölkerung weitergegeben werden. Russisches Öl zu Sonderkonditionen wird als einer der Auswege gesehen, den Energiehunger des aufstrebenden Subkontinents zu stillen.

Eines der europäischen Armenhäuser, Rumänien, könnte aus der Energiekrise als einer der Sieger hervorgehen: Im Schwarzen Meer werden eine Reihe nicht erschlossener Ressourcen vermutet und auch das Potenzial für Strom aus regenerativen Quellen ist noch lange nicht ausgereizt. Schon jetzt ist Rumänien zweitgrößter Gasproduzent in der EU. Ob und wie Deutschland seine eigenen Reserven nutzen und statt in den USA gefracktes Gas gewissermaßen ein Produkt aus dem Regionalfenster einspeisen wird, hängt vermutlich vom Verlauf des Winters, den Preisentwicklungen auf den Weltmärkten und dem Füllstand der Gasspeicher spätestens im Herbst 2023 ab.

Gehen erst einmal flächendeckend die Lichter aus, wird auch niemand mehr Details der Laufzeitverlängerung diskutieren wollen – auch wenn zumindest dieses Szenario den Experten zufolge derzeit eher unwahrscheinlich erscheint. Keinesfalls vergessen werden darf aber auch: Russland ist für viele Länder nicht nur aus fossilenergetischen Gründen ein interessanter Partner, sondern auch als Lieferant nicht fossiler Rohstoffe.

Tim Jacobsen

Die weiteren Aussichten: teurer und teurer

Herauszufinden, ob jemand gerade noch unter 50 Jahre alt ist oder darüber, ist relativ einfach, guckt man sich Fotoalben aus der jeweiligen Kindheit an. Diejenigen von uns, die noch relativ weit vorne Aufnahmen von sich auf Auto-leeren Autobahnen haben, kamen mit Sicherheit vor dem 16. Dezember 1973 auf die Welt. Es waren streng genommen nur drei Sonntage, die in der Rückbetrachtung den Mythos der autofreien Sonntage schufen. Der Jom Kippurkrieg war Geschichte, auf den Ölmärkten entspannte sich die Lage, angesichts der nahenden Feiertage hieß es schnell wieder Auto-Bahn frei. Auch wenn die Ölpreise seitdem streng genommen weitgehend unbemerkt kontinuierlich stiegen und dieser sich wie ein Naturgesetz anfühlende Preisanstieg niemanden ernsthaft vom Autofahren abgehalten hätte – mitunter eines der Probleme, das gewissermaßen Öl ins Feuer der gegenwärtigen Energiekrise gießt.

Denn so viel ist klar: nur Preisdruck sorgt dafür, dass mittel- und langfristig in sparsame Technologien investiert wird. Und wenn nun derzeit die Erwartung vorherrscht, dass die Gaspreise womöglich bald wieder sinken, verhindert das Technologiesprünge – auch wenn sich die Experten streng genommen nur darüber streiten, wie hoch der Faktor ist, um den Energie teurer wird und ob nun Erdgas oder Elektrizität die größten Sprünge machen wird. Der Tankrabatt setzte in dem Zusammenhang wahrscheinlich auch das falsche Zeichen, suggerierte er doch, dass nach den drei Monaten alles wieder beim Alten sein sollte. Streng genommen setzen auch die Verzichtsappelle den falschen Akzent, besonders in Kombination mit den üblichen Abrechnungsmodalitäten beim Erdgasbezug. Wird beim Tanken jedes Mal aufs Neue die Preisentwicklung offensichtlich, kommt beim Erdgas die Erkenntnis erst mit der Erhöhung des Abschlages.

Der autofreie Sonntag und die Sparappelle, die Deutschlands Reaktion auf die Drosselung der Energieexporte aus arabischen Ländern war, die wiederum die Reaktion auf die gar nicht so heimlichen Waffenlieferungen des Westens an Israel war, welches kurz zuvor von Ägypten und Syrien überfallen worden war, senkten den Benzinverbrauch zwar kurzfristig, aber leider auch nur für äußerst kurze Zeit, um rund ein Zehntel. Ein bisschen kommt dann „ewig grüßt das Murmeltier“ Stimmung auf: Auch 1973 stand Deutschland im Verdacht, unter Rücksicht auf eigene Wirtschaftsinteresse die gemeinsame Linie des Westens eher kurvenförmig zu interpretieren. Auch 1973 war eines der Hauptprobleme, dass der Nachfrage in Deutschland ein wenig diversifiziertes Angebot gegenüberstand.

Eine spannende Frage, die in der gegenwärtigen Embargodiskussion nur selten diskutiert wird, ist, ob wir denn nicht auch beim Nichtbezug des Erdgases aufgrund von so genannten Take-or-Pay-Regeln trotzdem weiterbezahlen müssten. Käme es zum Importverbot unsererseits, wäre entscheidend, ob die Force-Majeure-Klausel in den Lieferverträgen auch hoheitliche Maßnahmen umfasst. Falls nicht, würde bei Vertragslaufzeiten bis teilweise zum Jahr 2036 noch viel Geld über den Dnepr Richtung Russland fließen. Eine weitere spannende Frage ist, wo im Fall der Fälle als erstes der Hahn zugedreht wird. Glashersteller berichten, dass sie ihren Gasbedarf allenfalls um die Hälfte senken können, wollen sie eine Zerstörung ihrer Schmelzwannen verhindern. Und was passiert, wenn BASF in Ludwigshafen keine Ausgangsstoffe mehr produziert, Thyssenkrupp keinen Stahl mehr liefert?

Es muss aber auch nicht immer an den offensichtlichen Dingen scheitern: was, wenn aufgrund von Energieengpässen kein Papier und Verpackungsmaterial mehr produziert werden kann, wenn sich zwar grundsätzlich die Fließbänder weiterdrehen, aber schlicht und einfach die Windschutzscheiben fehlen? Auch die Meinungen darüber, wie und ob überhaupt irgendetwas abgeschaltet werden kann, gehen auseinander. Wenn der Weiterbezug nicht über die Verteilstationen abgeschaltet werden kann, wer wird die Schieber auf den Betriebsgeländen bedienen? Und wer möchte der Schuldige daran sein, dass es Zeit, Kosten und Mühen bedeutet, nach einem Druckabfall im Gasnetz das System wieder ans Laufen zu bringen?

Ebenfalls ungeklärt, wenn auch angesichts der Bilder und Berichte aus der Ukraine etwas zynisch, ist die Frage, was wir im Embargofall als Gegenleistung für eine mittelschwere Rezession bekämen: die unsichere Aussicht auf eine erhoffte Schwächung Russlands? Und so ist es kein Wunder, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften an diesem Punkt an einem Strang ziehen und betonen, dass die Embargofolgen in Deutschland stärker spürbar wären als in Russland – und da ist von all den anderen denkbaren Veränderungen in unserem Zusammenleben noch nicht einmal die Rede. Und schon geht es nicht mehr nur um Frieren für den Frieden, sondern ziemlich genau ums Eingemachte. Und dann ist da schon etwas dran, dass wir die ganze Fußball-WM-Empörung vergessen sollten, um dann den einen Despoten gegen den nächsten auszutauschen, um nur ja nicht im Winter kalt duschen zu müssen, schließlich ist die Vergrößerung des Lieferantenspektrums das Gebot der Stunde.

An der Stelle wird es nun wieder ein bisschen tricky: Spanien zum Beispiel hat frühzeitig auf LNG aus Nordafrika gesetzt, ist nur leider Pipeline-technisch schlecht angebunden an das resteuropäische Netz. Weshalb das auch weiterhin gut versorgte Spanien nicht einsieht, warum es sich den Sparplänen aus Brüssel beugen sollte. Und die Spanier sind mit dieser Idee beileibe nicht die einzigen. Ganz einsichtig ist es ja auch nicht, warum wir Frackinggas importieren wollen, unsere eigenen Vorkommen aber auf gut kolonialistisch lieber Vorkommen sein lassen. Zwar hatten unsere Bierbrauer Angst um die Güte ihres Wassers, werden aber letztendlich nicht den Ausschlag gegeben haben. Die Diskussion um die Förderplattform zwischen Borkum und Schiermonnikoog spricht Bände. Stattdessen werden nun von Eemshaven bis Brunsbüttel vier LNG-Terminals geplant. Geplant war schon einmal eines. Und das kam so:

Vor etwa 200 Jahren wurden die ersten Lampen mit Gas betrieben, in Berlin beleuchten immer noch mehr als 20000 Gaslampen das Straßenbild. Das so genannte Stadtgas fiel als Abfallprodukt in den Kokereien ab. Erst mit der Krise der Steinkohle in den fünfziger Jahren und der Entdeckung des Groninger Gasfeldes sowie weiterer Vorkommen im Nordwesten Deutschlands wurde Erdgas als Energieträger zunehmend beliebter. Aus dieser Zeit stammt auch die Bindung des Gaspreises an den Ölpreis: die Wahl des Energieträgers sollte nicht über die Profitabilität entscheiden. Der Streit darüber, wie hoch der Gaspreis während der zweiten Ölkrise denn tatsächlich sein muss, führte zu einer Abwendung von den Niederlanden und einer Hinwendung zu Norwegen und in noch viel größerem Maße der Sowjetunion. Mit dem Kreml hatte Deutschland schon Ende der fünfziger Jahre ein aus westlicher Bündnissicht delikates Geschäft eingefädelt und lieferte Stahlrohre  zur Erschließung westsibirischer Gasvorkommen.

Der Erdgas-Röhren-Vertrag sah Ende der sechziger Jahre dann weitere Stahlrohrlieferungen vor, im Gegenzug floss 1973 erstmals russisches Erdgas in das deutsche Pipelinenetz. Auch Privathaushalte sahen die Vorteile des Energieträgers Erdgas, was wiederum eine Speicherung des Erdgases im verbrauchsarmen Sommer für den verbrauchsstarken Winter nahelegte: Salzkavernen und ehemalige Lagerstätten waren die offensichtlichen Kandidaten für die Einlagerung preislich vorteilhaften Gases während der Sommermonate. Zunehmend erschöpfte Vorkommen in Deutschland und den Niederlanden führten nicht unwesentlich zu einer immer stärkeren Abhängigkeit von Russland. Und an diesem Punkt kommt wieder der Chemiekonzern aus Ludwigshafen ins Spiel. Da die Norweger keine Lust hatten, es sich mit der marktbeherrschenden Ruhrgas zu verderben, machte BASF im Herbst 1990 mit einem zwischen Wintershall und Gazprom unterzeichneten Abkommen den Seitenwechsel offensichtlich. Mitte der Neunziger Jahre erhielt Gazprom über die Beteiligung an Wingas erstmals auch die Kontrolle über Vertriebsstrukturen in Deutschland.

„Selber schuld. Nur was hilft´s?“

Tim Jacobsen

Es ist müßig, nachzuvollziehen, wer in den Folgejahren alles eine Diversifizierung der Bezugsquellen anmahnte und auch höhere Speichermengen forderte, Fakt ist, dass auch die Monopolkommission von Gerhard Schröder ignoriert wurde. Das Gazprom, Ruhrgas und Wintershall-Gemeinschaftsprojekt Nordstream 1 folgte, damit wurden Polen und die Ukraine umgangen. Schröders  Tätigkeit für die Pipelinegesellschaft war der Auftakt zu einer Reihe weiterer Posten bei staatlichen russischen Energiekonzernen. 2011 wurde Nordstream 1 in Betrieb genommen, zeitgleich begann Nordstream 2 Form anzunehmen, auch wenn der außenpolitische Ton Moskaus immer rauer und schärfer wurde. 2014 – und damit kurz nach der Annexion der Krim durch Russland – stimmte das Bundeswirtschaftsministerium dem Verkauf deutscher Gasspeicher an einen russischen Oligarchen zu. Ein Jahr später gab es ministeriellerseits keine Einwände, als die beiden großen deutschen Gasspeicher im Tauschgeschäft gegen Aktienanteile ebenfalls in russischen Besitz gerieten. Im Jahr 2021 waren die Speicher dann erstmals nicht in gewohnter Weise gefüllt und Nordstream 2 fertig.

Ruhrgas, das größte Unternehmen der deutschen Gaswirtschaft hatte von 1979 bis 2009 eine Lizenz zur Errichtung eines Gasterminals für den Import von LNG in Brunsbüttel, nutzte diese aber nicht und setzte dagegen vor allem nach der Übernahme durch E.ON auf Russland. Die Umstände, die den Zusammenschluss von E.ON und Ruhrgas vor ziemlich genau zwanzig Jahren begleiteten, lesen sich auch heute noch wie ein Wirtschaftskrimi und waren wohl Ausdruck eines Verständnisses von Wettbewerbspolitik als einer Gleichschaltung von Unternehmens- und Staatsinteressen. Letztendlich wurde damit aber unsere energiepolitische Abhängigkeit von Russland zementiert. 2015 wurde die ehemalige E.ON Ruhrgas nach Umwandlungs- und Abspaltungsmaßnahmen auf Uniper umfirmiert. Aufgrund der Diskrepanz zwischen Ein- und Verkaufspreisen kam Uniper nach dem 24. Februar 2022 in äußerst unruhige Fahrwasser, war aufgrund der großen Marktbedeutung allerdings systemrelevant und wurde unlängst mit einem Milliardenhilfspaket gerettet.

Tim Jacobsen

Friedrich geht, Schmidt kommt

Es war ein bisschen geflunkert, als Dr. Hans-Peter Friedrich bei der Eröffnungsveranstaltung der Internationalen Grünen Woche damit kokettierte, erst einen Monat im Amt zu sein – schließlich hatte er als Innenminister nach Ilse Aigners Repatriierung bereits Ende September die kommissarische Leitung des BMELV übernommen, das er dann ab seiner Ernennung eine Woche vor Heiligabend bis zu seinem Rücktritt am Valentinstag, als ein im Titel um den Verbraucherschutz beraubtes Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft führte.

Einen aus Gartenbausicht besseren Termin zur offiziellen Amtseinführung hätte es dann aber auch gar nicht geben können, schließlich stehen in der Nachweihnachtszeit traditionell die Branchenhighlights Grüne Woche, IPM, Fruit Logistica sowie BioFach unmittelbar bevor. Gelegenheiten genug, um, wie der Minister im Berlin erklärte, „vom Obstbauern am Bodensee bis zum Getreidebauern in Mecklenburg, vom Milchbauern in Allgäu und Oberfranken bis zum rheinländischen Gemüsebauern, vom Hopfenbauern aus Oberbayern bis zum Winzer an Rhein, Mosel und Saale“ all diejenigen kennenzulernen, deren Schicksal mit der Amtsübergabe in Friedrichs Hände gelegt wurde.

Die größten Sorgen hatte Friedrich schnell ausgemacht und versprach zur Eröffnung der Grünen Woche Planungssicherheit, Schutz des Eigentums sowie die Umsetzung der im Wahlkampf gemachten Versprechen. In Essen stellte er in Aussicht, die Passage des Koalitionsvertrages `Die Potentiale zur Energieeinsparung im Gartenbau sollen stärker genutzt werden´ mit Leben zu füllen, die bisherige Förderung des Agrardiesels beizubehalten sowie eine pauschale Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes auch zukünftig vehement ablehnen zu wollen.

Friedrich zeigte sich Ende Januar bestens informiert, als er zurückgreifend auf die Erkenntnisse des zweiten Zukunftskongresses das IPM-Eröffnungspublikum in die Pflicht nahm, dafür zu sorgen, dass Gartenbauprodukte zukünftig stärker nachgefragt und nicht zu Dumpingpreisen und in ihrer Bedeutung entwertet verschleudert werden. Friedrich lieferte die Problemlösung gleich mit: mit innovativen Produkten und Dienstleistungen sowie einem differenzierteren Eingehen auf die unterschiedlichen Konsumentengruppen könne die vom Konsumenten empfundene Wertigkeit gartenbaulicher Produkte gesteigert und so beispielsweise Blumen und Pflanzen beim Konsumenten als „hochwertiger Bestandteil im Leben“ verankert werden.

Eine EEG-Novellierung, die nicht zu einer Mehrbelastung des Gartenbaus führt, sowie die Einführung der steuerlichen Risikoausgleichsrücklage, wären ein guter Anfang

Tim Jacobsen

Ähnliches dann auf der Fruit Logistica: „Die Branche ist gefordert, den Konsum von Obst und Gemüse anzukurbeln, neue Trends zu erkennen, Marktlücken zu suchen und zu besetzen. Wir müssen auf Frische, Qualität und Transparenz setzen und zusehen, dass wir den Konsum weiter steigern – im Interesse der Betriebe und des Handels, aber auch im Interesse einer gesunden Ernährung.“ Abends bei der German Fruit Traders Night betonte Friedrich dann die zunehmende Bedeutung der Vermarktung von Lebensmitteln aus der Region und verwies auf das `Regionalfenster´, das Friedrich zufolge eine hervorragende Möglichkeit ist, regionale Produkte verlässlich und transparent zu vermarkten.

Am Eröffnungstag der Jubiläumsausgabe der BioFach schließlich erweiterte Friedrich den Regionalbegriff um das Thema Bio: „Regionale Bioprodukte liegen im Trend. Das bestätigt neben Umfragen auch das konkrete Kaufverhalten der Verbraucher. Daher sollte es unser gemeinsames Ziel sein, den Anteil an regionalen Bioprodukten zu steigern, zumal Produktion, Verarbeitung und Handel in den ländlichen Regionen auch aktiv zur Stärkung der Wirtschaftskraft vor Ort beitragen.“

Zwei Dinge lagen dem Minister zwei Tage vor seinem Rücktritt in Nürnberg dann noch besonders auf dem Herzen: „Ökologisch wirtschaftende Betriebe benötigen weiterhin attraktive Prämien, die die besonderen Ökosystemleistungen honorieren. Nur so bleibt der Anreiz für eine ökologische Bewirtschaftung erhalten“ sowie im Hinblick auf die geplante Revision der EU-Ökoverordnung „Weiterentwicklung und Anpassung sind wichtige Elemente einer zukunftsfähigen Branchenentwicklung. Dies gilt ganz besonders für einen sauberen Wettbewerb mit echten und qualitativ hochwertigen Bioprodukten. Daher begrüßen wir die Anstrengungen der Kommission grundsätzlich: Wo Bio draufsteht, muss auch Bio drin sein.“

Es blieb wohl niemandem verborgen, dass Friedrich als Landwirtschaftsminister in den knapp neun Wochen seiner Amtszeit in der grünen Branche auffallend viel Präsenz zeigte, was nach dem aus gartenbaulicher Sicht eher bescheidenen Ergebnis der Koalitionsverhandlungen für Aufatmen unter den berufsständischen Vertretern sorgte. Das damit allerdings automatisch einhergehende Dilemma verdeutlichte Friedrich zum IPM-Auftakt in Essen: „Ja, ich habe in meiner Rede auf der Grünen Woche in Berlin den Gartenbau gleich dreimal erwähnt, ganz absichtlich. Und prompt liegen mir schon die Beschwerden der Forstwirte und Teichwirte auf dem Tisch.“

Es bleibt zu hoffen, dass der frischgekürte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt den Gartenbau auch ohne Besuch der deutschen Weltleitmessen ernst nimmt und für die dringlichsten Sorgen und Nöte der Gärtner ein offenes Ohr hat: Eine EEG-Novellierung, die nicht zu einer Mehrbelastung des Gartenbaus führt, sowie die Einführung der steuerlichen Risikoausgleichsrücklage, wären ein guter Anfang.

Tim Jacobsen

Turbulente Tage in Essen

Es wurde im Nachgang viel darüber spekuliert, ob die 1,3 Mio. stimmberechtigten Bürger am 9.11.2013 tatsächlich die Frage „Sind Sie dafür, dass sich die Landeshauptstadt München zusammen mit der Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen und den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein um die Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2022 bewirbt?“ beantworteten oder ob vielmehr die Machenschaften des IOCs zur Abstimmung standen.

Letztendlich genügten rund 200 000 Stimmen, den Traum von `Olympia dahoam´ platzen zu lassen. Ein Umstand, der Franz Beckenbauer dazu verleitete, ein etwas großzügigeres Demokratieverständnis zu offenbaren: „Ich bin mir nicht sicher, ob man zukünftig immer das Volk befragen sollte. Früher hat es auch ohne Bürgerentscheide Großereignisse gegeben. Die Gegner sind eben immer aktiver. Die gehen alle zur Wahl hin und nehmen noch ihre Großmutter mit.“

Kaiserliche Gedanken könnten am Abend des 19. Januars auch den Unterzeichnern der Charta „Pro Messe Essen“ durch die Köpfe gegangen sein: Bei einer Wahlbeteiligung von 28,8 % votierten 66 000 Essener Bürgerinnen und Bürger gegen die so genannte Ertüchtigung der Messe Essen. Paradoxerweise musste in Essen die Frage „Sind Sie dafür, dass der Beschluss des Rates der Stadt Essen vom 17.7.2013 über den Neubau der Messe für 123 Mio. € aufgehoben wird und die Messe-Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet werden, die Neubauplanung abzulehnen?“ bejaht werden, um dagegen sein zu können.

Am Ende genügten 1 000 Stimmen Vorsprung, um die 123 Mio. € teuren Messemodernisierungspläne (wenn schon nicht zu begraben, so doch zumindest) erst einmal auf sehr kaltes Eis zu legen. Als im Juli 2013 der Essener Rat beschloss, die Messe rundzuerneuern, stimmte mit SPD, CDU, FDP und EBB noch eine äußerst breite bürgerliche Mehrheit für die Messepläne. Rund 16 000 fristgerecht abgelieferte Unterschriften setzten Ende Oktober den Wahlkampf in Gang.

Und da standen dann auf einmal dem verkürzt auf Schlagzeilen schwer vermittelbaren internationalen Messegeschäft unzählige, Tag für Tag erfahrbare Schlaglöcher sowie unterfinanzierte Kindertagesstätten gegenüber. Leichte Beute also für die Ertüchtigungsplangegner, die genüsslich an die „Beinahe-Pleite vor zwei Jahren“ sowie „millionenschwere jährliche Zuwendungen“ erinnerten und die Modernisierungspläne in eine Reihe mit Stuttgart 21, Elbphilharmonie und Hauptstadtflughafen stellten.

Mit dem Ergebnis des Bürgerentscheides wurde aber nicht nur die Arbeit von sechs Jahren Vorbereitungszeit zunichte gemacht und finanzielle Aufwendungen in Millionenhöhe handstreichartig entwertet; es ist nicht auszuschließen, dass weitere Messeveranstalter angesichts des vorläufigen Modernisierungs-Aus´ den Lockrufen konkurrierender Messegelände erliegen und somit den Standort Essen weiter schwächen könnten.

Solange keine Waffengleichheit unter den Messebetreibern herrscht, wird das Wettrüsten kein Ende nehmen

Tim JAcobsen

Womit niemandem geholfen wäre, schließlich hatte der Versuch, am finanztechnisch großen Rad zu drehen, Anfang des Jahrtausends wie in vielen anderen Kommunen zwar kurzfristig für Liquidität gesorgt, einhergehend mit dem so genannten Cross-Border-Leasing waren allerdings auch Verpflichtungen eingegangen worden, die weitreichender kaum hätten sein können: Knapp zwanzig Jahre muss der Messebetrieb in Essen noch aufrechterhalten werden, andernfalls drohen Strafzahlungen in einer Höhe, die den Weiterbetrieb bis 2032 als deutlich günstigere Option erscheinen lassen.

Auch wenn bei den Messebetreibern in Essen eine Woche nach Bekanntgabe des Ergebnisses des Bürgerentscheids noch deutlich zu spüren war, dass mit einem anderen Abstimmungsergebnis gerechnet worden ist, fehlte zum IPM-Auftakt von Schockstarre jede Spur. Ganz im Gegenteil: bis Ende März gaben die politischen Entscheidungsträger aller im Essener Rat vertretenen Fraktionen Ende Januar der Geschäftsführung der Messe Essen Zeit, Lösungsvorschläge zu erarbeiten, wie sich die Positionierung Essens als Place of Events für die Zukunft sichern lässt.

Ob das Ganze dann Ertüchtigung heißen wird oder vielleicht schlicht Modernisierung, weiß heute noch niemand mit Sicherheit zu sagen. Das Einzige, das zweifelsfrei feststeht, ist, dass der zunichte gemachte finanzielle und personelle Aufwand in der Durchführung der Baumaßnahme wohl am besten aufgehoben gewesen wäre. Schließlich stand in Essen am 19.1.2014 ja nicht die auch über unsere Landesgrenzen hinaus weit verbreitete Praxis, defizitäre Messegesellschaften mit öffentlichen Geldern am Leben zu erhalten, zur Abstimmung. Und auch wenn einem dies als Steuerzahler sauer aufstößt: Solange keine Waffengleichheit unter den Messebetreibern herrscht, wird das Wettrüsten kein Ende nehmen.

Tim Jacobsen

Wir haben alle Chancen, die Herausforderungen für unser Land zu lösen

Ziffern alleine erzählen meistens nicht die ganze Geschichte: wer beispielsweise liest, dass die Niederlande nach Brasilien der größte Nettoexporteur von Agrarprodukten sind, kommt schnell auf den Gedanken, dass dies den europäischen Exportsubventionen für Milch, Getreide und Zucker zu verdanken wäre. Schließlich hat sich in vielen Köpfen die Idee festgesetzt, dass die europäische Agrarwirtschaft nur dank einer mehr oder weniger großzügigen Brüsseler Subventionspolitik überleben könne.

In Wahrheit wird der weitaus größte Teil der niederländischen Agrarexporte mit Produkten erwirtschaftet, die überhaupt nicht in Anmerkung für Subventionen kommen. Kaum jemand wird vermuten, dass niederländische Unternehmen beispielsweise die Exportmärkte für Kokosöl (68 %), Cashewnüsse (64 %), Kakaobutter (55 %) und –puder (54 %) dominieren. Schon vorstellbarer ist, dass Muscheln mit 51 % Weltexportmarktanteil zu den 15 stärksten Exportprodukten der Niederlande zählen. Niemanden überraschen wird die Tatsache, dass niederländische Schnittblumenexporte in einer Größenordnung von knapp 3 Mrd. € einen Exportmarktanteil von 84 % erreichen. Ähnlich stellt sich die Situation bei Blumenzwiebeln dar.

Bereits heute hat jeder dritte LKW, der auf den Straßen unseres westlichen Nachbarlandes unterwegs ist, Agrarprodukte geladen

Tim Jacobsen

Obwohl in Europa die staatlichen Ausgaben für Landwirtschaft nur 0,5 % des gesamteuropäischen Bruttosozialproduktes und damit weniger als ein Hundertstel der Summe aller Staatsausgaben ausmachen, sind die Zahlungen aus Brüssel mit Sicherheit aber auch keine vernachlässigbare Größe.

Stellt man den Anteil Subventionen, den einzelne Länder aus dem Gesamttopf erhalten, dem Anteil der einzelnen Länder am gesamteuropäischen Produktionswert gegenüber, fällt auf, dass das als Agrarsubventionsempfänger verschriene Italien zwar 13,1 % der gesamteuropäischen Subventionen für den Agrarbereich bezieht, allerdings auch 15,2 % des gesamteuropäischen Agrarproduktionswertes erwirtschaftet.

Bei Frankreich hält sich der Anteil Subventionen mit dem Anteil Produktionswert noch genau die Waage (12,6 %), bei Spanien (13,7 % zu 13,1 %) genauso wie bei Deutschland (15,7 % zu 14,5 %) dreht sich das Zünglein allerdings bereits in Richtung Subvention. Einziger deutlicher Ausreißer bei diesem innereuropäischen Vergleich sind mit einem Verhältnis von 7 % zu 2,6 % die Niederländer.

Die Niederlande, immerhin eines der am dichtesten besiedelten Länder der Welt, erzielten im Jahr 2005 allein mit Agrarprodukten einen Exportüberschuss in Höhe von 22,6 Mrd. €. Während der Flächenstaat Deutschland Nettoimporteur von Agrarprodukten ist, werden in den Niederlanden fast drei Viertel des Außenhandelssaldos in Höhe von 31,5 Mrd. € mit Agrarprodukten bestritten.

Obwohl von dieser Entwicklung auch Bereiche fernab der Landwirtschaft profitieren, sind dem Wachstum der Bedeutung der Niederlande als Drehscheibe des internationalen Handels mit Agrarprodukten allerdings Grenzen gesetzt: Bereits heute hat jeder dritte LKW, der auf den Straßen unseres westlichen Nachbarlandes unterwegs ist, Agrarprodukte geladen.

Tim Jacobsen