"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Schlagwort: Wertschöpfung

Wissenschaft, die Wissen schafft

Was sich nach Klamauk und Schabernack anhört, könnte durchaus ernste Konsequenzen haben: Forschende der Universitäten Bath, Aachen und Frankfurt beobachteten 192 Stunden lang das Kaufverhalten von insgesamt 3810 Kunden – und das an einem winzig-kleinen, oftmals übersehenen Teil der Obsttheke von Rewe-Märkten. Und zwar genau an der Stelle, an der es einzelne Bananen zu kaufen gibt.

Wurden diese Bananen mit einem Mitleid-erweckenden „Wir sind traurige Singles und möchten gekauft werden“ angepriesen, steigerte dies den Absatz gegenüber vermeintlich glücklichen und auch so beschilderten Single-Bananen um mehr als die Hälfte. Damit könnten die Bananen ein Vorbild sein für alle Singles, egal ob Mensch oder pflanzlichen Ursprungs. Das Betonen der eigenen Imperfektionen könnte, anders als auf den einschlägigen Vermittlungsportalen üblich, die eigene Attraktivität zumindest wissenschaftlich belegt noch einmal deutlich steigern.

Und was für Chancen tun sich damit dann erst im Geschäft mit allem was blüht und verblüht auf? Dass es für verderbliche Ware auch noch ganz andere Möglichkeiten zur Wertschöpfung gibt, bewies unlängst Maurizio Cattelans Banane, die mit Klebeband an der Wand, mit „Comedian“ als Titel und damit als Kunstwerk ausgewiesen für knapp 6 Mio. € den Besitzer wechselte. Immerhin gut 3 % des jährlichen Gesamtumsatzes mit Bananen in Deutschland.

Tim Jacobsen

Auch mal fünf gerade sein lassen

Die Uniformität perfekt arrangierter Früchte einer im Supermarkt erworbenen Schale Blaubeeren inspirierte den kanadischen Erfolgsautors Douglas Coupland zu einem melancholisch angehauchten Ausflug in vergangene Zeiten, den er in einer pointierten Kurzgeschichte beschreibt. Nicht nur erscheint es ihm, als ob Obst und Gemüse früher viel intensiver geschmeckt hätten, er glaubt auch entdeckt zu haben, dass die Früchte seiner Jugend untereinander viel verschiedener waren.

Um den zivilisatorischen Erfolg, den die Versorgung des Frischmarktes mit qualitativ hochwertigen und einheitlich nach Güteklassen sortierten Früchten zweifelsohne darstellt zu beschreiben, bemüht Coupland einen zu mindest auf den ersten Blick unpassenden Vergleich. Mit „Hitlerberries“ umschreibt er die Eigenschaften der von ihm erworbenen Früchte, die sich zwar der äußeren Form nach ordentlich in Reih und Glied präsentieren, letztendlich aber inhaltslos seien.

Unsere Wahrnehmung der modernen, technisierten Welt wird von scheinbar objektiven Maßstäben dominiert. Alles, was messbar ist, kann dabei als Norm dienen. Bei den Wahlen zur Miss World beispielsweise sind dies relativ eindeutige Kriterien: einen Meter zweiundsiebzig sollten die Kandidatinnen überragen, weder jünger als siebzehn noch älter als vierundzwanzig sein und ihr Brust-, Taillen- und Beckenumfang sollte tunlichst die weiblichen Gardemaße 90-60-90 treffen. Das Ermitteln eines Wertes durch quantitativen Vergleich der Messgröße mit einer Einheit, sagt allerdings nichts darüber aus, wie sinnvoll dieser Wert tatsächlich ist.

Alles, was messbar ist, kann als Norm dienen. Bei den Wahlen zur Miss World beispielsweise sind dies relativ eindeutige Kriterien

Tim jacobsen

Viele Lebensmittel, die wir tagtäglich zu uns nehmen, sehen aus, als ob sie direkt aus einer Fabrik kämen, obwohl sie nie eine Fabrik von innen gesehen haben. Naturprodukte wie Obst und Gemüse werden von Gesetzes wegen seit Ende der siebziger Jahre strengen Gleichmäßigkeitskriterien hinsichtlich des Ursprungs, der Sorte, des Handelstyps, der Güteklasse, Entwicklung und Reife, Färbung und Größe unterworfen. Toleranzen geben dabei nur wenig Spielraum. Vielen Gärtnern ist diese Fixation auf äußerliche Makellosigkeit schon lange ein Dorn im Auge, fällt wegen gestiegener Anforderungen nicht immer öfter ein Großteil der mühsam produzierten Ware durch die Maschen der Qualitätssicherungsvorschriften.

Optische Unbedenklichkeit ist Trumpf, die inneren Werte von Lebensmitteln zählen nur noch, wenn diese mit künstlich konstruierten Zusatzstoffen aufwändig aufgepeppt wurden und ein langes Leben trotz übermäßigen Konsums von Genussgütern versprächen.

Die englische Supermarktkette Waitrose brach Mitte Juni dieses Jahres mit dieser aus Gärtnersicht fatalen Entwicklung und erweiterte im Alleingang das traditionelle Produktspektrum im Frischebereich um eine bisher nur aus dem Porzellan-, Mode- und Möbelbereich bekannte Produktkategorie: Obst und Gemüse mit kleinen Fehlern. Mit dem Obst und Gemüse „zweiter Klasse“ will die Supermarktkette laut eigenen Angaben ihre Kunden darauf aufmerksam machen, dass Obst und Gemüse nicht aussehen muss wie aus dem Bilderbuch, um gut zu schmecken.

Der Kilopreis für die normalerweise aussortierte Ware liegt deutlich unter dem für Standardprodukte. Den Endverbrauchern wird das Obst und Gemüse als Rohware zur Weiterverarbeitung angepriesen. Waitrose schlägt mit dem Vorstoß zwei Fliegen mit einer Klappe: zum einen soll den Gärtnern geholfen werden, einen größeren Anteil der von ihnen erzeugten Produkte vermarkten zu können, zum anderen soll das Angebot budgetorientiertes Klientel in die Filialen locken.

Eine von Friends of the Earth durchgeführte, unlängst veröffentlichte Befragung hatte ans Tageslicht gebracht, dass viele Gärtner in Großbritannien befürchteten, den stetig steigenden Qualitätsansprüchen der Supermärkten nicht mehr gerecht werden zu können. Oftmals bleibt Ware ungeerntet, weil damit laut Einschätzung der Gärtner sowieso kein Blumentopf zu gewinnen wäre. Unangenehmer Beigeschmack dieser Entwicklung ist es laut Friends of the Earth, dass Gärtner durch rigide Vorgaben eher dazu verleitet würden, mehr statt weniger Pflanzenschutzmittel zu verwenden.

Wäre denn wirklich soviel verloren, wenn die nächste Miss World wieder ausschauen würde, wie es die meisten Missen auf der World halt nun einmal so tun: Nicht makellos präsentiert, sondern in einem vernünftigen Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung?

Tim Jacobsen