"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Autor: juetim (Seite 10 von 17)

Seit dem erfolgreichen Abbruch einer wissenschaftlichen Karriere lebt und arbeitet Tim Jacobsen gemeinsam mit Frau, Familie, Goldfischen und Katze in Bonn

Ihr Landhändler hilft

„Wir dürfen nicht noch mehr wertvolle Zeit verlieren“, mahnt Baywa-Vorstandschef Klaus Josef Lutz in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der in verschiedenen Medien zitiert wird. Der lahmenden deutschen Impfbereitschaft müsse Beine gemacht werden, weshalb der Land- und Baustoffhändler der Bundesregierung gerne übriggebliebenen Astra-Zeneca-Impfstoff abkaufen und die eigene Belegschaft impfen wolle: „Die Verabreichung des Impfstoffs garantiere ich professionell und schnell zu organisieren.“

Tim Jacobsen

Es bleibt kompliziert

Mit dem Inkrafttreten der Coronaschutzverordnung vom 22.02.21 blieb in Nordrhein-Westfalen zumindest der Betrieb von so genannten „weiteren Einzelhandelsgeschäften, die kurzfristig verderbliche Schnitt- und Topfblumen sowie Gemüsepflanzen und Saatgut verkaufen, soweit sie den Verkauf hierauf einschließlich unmittelbaren Zubehörs (Übertöpfe und so weiter) beschränken“, zulässig.

Ihre Nonfoodverkaufsaktivitäten nicht aufstocken durften die „Einrichtungen des Einzelhandels für Lebensmittel“ und auch „auf Wochenmärkten darf das Sortiment solcher Waren, die nicht Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs sind, nicht gegenüber dem bisherigen Umfang ausgeweitet werden“.

„Der Betrieb von Bau- und Gartenbaumärkten“ war weiterhin „nur zur Versorgung von Gewerbetreibenden, Handwerkern sowie Land- und Forstwirten mit den jeweils betriebsnotwendigen Waren zulässig, anderen Personen darf (und das war tatsächlich eine vorsichtige Wendung zum Guten) der Zutritt nur für den Verkauf von Waren gemäß Satz 1 Nummer 7 (das sind die bereits genannten kurzfristig verderblichen Schnitt- und Topfblumen sowie Gemüsepflanzen und Saatgut) gestattet werden.“

Trotz bestem Frühlingswetter macht sich allerorten eine deutlich spürbare Verzagtheit breit

Tim Jacobsen

Ein Jahr nachdem am 22. März 2020 der erste Corona-Shutdown in Kraft trat, scheint Deutschland von dem so oft geforderten einheitlichen Vorgehen in der Krise weiter entfernt denn je: was in Bonn Ende Februar bereits erlaubt war, hatte 60 km rheinaufwärts in Koblenz schon keine Gültigkeit mehr. Wurde der erste Shutdown mit der Wiedereröffnung der Friseurläden am 4. Mai 2020 nach sieben Wochen gelockert, öffnen nun die Friseure nach zehnwöchiger Zwangspause Anfang März wieder. Kinder und Jugendliche dürfen je nach Bundesland mal mehr, mal weniger und manche überhaupt nicht in die Schule oder Kindergarten gehen – und sind dabei mehr als nur doppelt gekniffen:

Nicht nur ist absehbar, dass in den letzten zwölf Monaten bei vielen Schülerinnen und Schülern aus Richtung Schule nur sehr wenig ankam und so mancher komplett aus dem Raster gefallen ist. Es zeigt sich auch einmal mehr, dass die Schwachen und Schutzbedürftigen in unserer Gesellschaft keine Lobby haben – anders als viele Wirtschaftsunternehmen, die auf großzügige finanzielle Hilfen pochen können. Die Kosten hierfür landen dann allerdings wiederum in Form von Schulden auf den Schultern der Kinder, die sie dann im Laufe ihres Lebens abzahlen müssen – obwohl sie bei den Hilfen weitgehend leer ausgingen und ohnehin schon zu den am schwersten Betroffenen gehören.

Auch ein Jahr später ist kein Konzept erkennbar, wie wir aus der Krise wieder herausfinden können. Handwerkliche Fehler wie das Impfchaos und die Diskussion um Schnelltests verstärken diesen Eindruck nur und so macht sich Ende Februar trotz bestem Frühlingswetter allerorten eine deutlich spürbare Verzagtheit breit. Wenn auch nur in homöopathischen Dosen bleibt als Heilmittel gegen den Corona-Blues, dass die gestiegenen Benzinpreise nicht nur eine Folge der CO2-Bepreisung sind, sondern auch ein Zeichen dafür, dass sich die Wirtschaftslage weltweit erholt.

Tim Jacobsen

Trostspender in guten wie in schlechten Zeiten

Am Anfang stand ein Stück Treibholz, die Aussicht auf Sommerferien an der kroatischen Adriaküste und eine gewisse handwerkliche Begabung, die mit einer absolvierten Tischlerausbildung untermauert wurde und wieder dringend ein kreatives Ventil suchte. Es ist wahrscheinlich nicht zu weit hergeholt, zu vermuten, dass Ralf Knoblauchs weiterer Karriereweg, der nach dem Theologiestudium zur Diakonsweihe führte, in gewisser Weise auch die Vorstellung davon prägte, was er in dem Stück Strandgut sah. So entstand der erste einer mittlerweile mehr als hundertköpfigen Schar von Königen.

Während seiner drei Wochen Sommerfrische merkte Knoblauch schnell, dass es ein leichtes war, auf dem Campingplatz über den König mit anderen ins Gespräch und dabei ohne Umschweife vom Smalltalk auf Grundsätzlicheres zu kommen. Es ist die Erinnerung an die eigene Menschlichkeit, an die Königswürde, die jedem von uns zu Teil ist und die von den grobgehauenen Figuren ausgehe, erklärt Knoblauch.

Das mache diese Figuren zu universellen Botschaftern der Menschlichkeit und so finden sich weltweit eine Vielzahl seiner Könige, die bald darauf von weiß gewandeten Königinnen komplettiert wurden, an Orten, wo Menschen sich begegnen. An Orten, an denen das Thema Würde eine besonders große Rolle spielt, sei es nun in Altersheimen und Hospizen, Beratungsstellen für Menschen in Not oder den Schiffen der Flüchtlingsretter auf dem Mittelmeer.

Eigen-artige Kunst, im wahrsten Sinne des Wortes

Tim Jacobsen

Während der ersten Wochen der Coronapandemie waren die Könige auch in Bäckereien und Einkaufszentren anzutreffen, als Trostspender, aber auch als Einladung, berührt zu werden und nicht zuletzt durch diese Berührung etwas in Gang zu setzen. Das immer gleiche weiße Hemd, die immer gleiche schwarze Hose, der Sockel, der den Figuren ein stabiles Fundament bietet sowie die goldene Krone, mal auf dem Kopf, mal abgelegt und manchmal in der Hand getragen unterstreichen den Werkstoff Holz mit all seinen Rissen und Unebenheiten.

Die dann wieder an unsere eigenen Risse und Unebenheiten erinnern. Und so wird der Wecker im Bonn-Lessenicher Pfarrhaus auch weiterhin werktags um 5:00 morgens läuten und wird sich Ralf Knoblauch für ein Stündchen in Klausur begeben, um beim Behauen und Gestalten seiner Königsskulpturen auch die im eigenen Berufsalltag an sozialen Brennpunkten gemachten Erfahrungen zu verarbeiten. Und so sind die Figuren dann mal mehr, mal weniger nach vorne  geneigt und manchen fehlt sogar ein Arm. Einen Zuversicht vermittelnden, offenen Gesichtsausdruck haben sie jedoch alle gemein.

Tim Jacobsen

Corona-Pandemie feiert Geburtstag

Als wir uns im Februar 2020 zum ersten Mal Gedanken zur Viruspandemie machten, diskutierten wir auch die Mutationsgefahr, den Trade off zwischen Virulenz und Pathogenität und konnten doch nicht ahnen, dass wir ein Jahr später live, in Farbe und nicht ausgeschlossen am eigenen Leib Zeuge werden, welche Implikationen der evolutionäre Wettlauf zwischen Erreger, in diesem Fall Sars-CoV-2, und Wirt, das wären dann potentiell wir alle, mit sich bringt.

Auch wenn „britische Variante“ irreführend ist, da niemand weiß, wo diese Kombination von 17 Mutationen im Virenerbgut tatsächlich entstanden ist, so hat die Gefahr damit neben der offiziellen B1.1.7 einen eingängigen Namen bekommen. Es scheint, als ob diese Variante die bisher am weitesten verbreitete Variante verdrängt – was bei Evolutionsbiologen unter Fitnessvorteil geführt wird, bedeutet für den normalen Menschen, dass er oder sie sich leichter anstecken kann.

Und das schlägt sich dann in der Reproduktionszahl nieder, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sich diese kaum noch unter die von Seiten der Politik geforderten Werte bringen ließe, der Kreislauf aus hohen Fallzahlen, zufällig auftretenden Mutationen sowie der evolutionären Auslese also weiter befeuert würde. Impfstoffe könnten dann paradoxerweise dazu beitragen, den Selektionsdruck zu erhöhen und dadurch an Wirksamkeit verlieren, wenn die Lage nicht schnell unter Kontrolle gerät.

„Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich einander viel verzeihen müssen“

Jens Spahn

Es ist die Frage, ob angesichts der bspw. auf www.gisaid.org anschaulich gemachten Häufung von Mutationen die bisherigen Bekämpfungsstrategien noch Gültigkeit haben können. Den Königsweg zu kennen, kann niemand behaupten. Vielleicht ist es aber so, dass, statt scheibchenweise den Lockdown zu verlängern, die Wahrheit darin liegen könnte, dass sich das Virus tatsächlich nicht wieder verabschieden wird. Und die eigentliche Frage dann lauten müsste, mit welcher Infektions- und Erkrankungsrate wir zu leben bereit sind – ähnlich wie wir bereit sind, Tote im Straßenverkehr oder an Lungenkrebs Verstorbene in Kauf zu nehmen.

Mit seiner Ende April gemachten Äußerung „wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich einander viel verzeihen müssen“ wird Jens Spahn unbezweifelt in die Pandemieannalen eingehen. Von den Coronatoten sollen in Deutschland im letzten Jahr mehr als die Hälfte Bewohner von Alten- und Pflegeheimen gewesen sein – eine Tragödie, die derzeit ihre Fortsetzung findet. Auch in den Schulen wurden die relativ unbeschwerten Sommermonate nicht dafür benutzt, sich auf die Verschärfung der Lage während der Wintermonate vorzubereiten. Wahrscheinlich hätte auch eine Analyse der Kontaktdaten der ersten Pandemiemonate mehr Hilfreiches ans Tageslicht befördert als die mittlerweile in der Versenkung verschwundene Corona App, ganz zu schweigen davon, dass wir erst gewissermaßen mit einem Jahr Verspätung begonnen haben, auf die Suche nach Mutanten zu gehen.

Bleiben Sie gesund!

Tim Jacobsen

Verbraucheraufklärung statt Frust schieben

Vielleicht ist es ja eine Mentalitätsfrage: heißt es seit Herbst 2019 in Deutschland „Land schafft Verbindung“, heißt es in unserem südlichen Nachbarland schon seit bald zehn Jahren „Land schafft Leben“. Und während die einen in eigener Sache mit möglichst großem Krawall zu Felde ziehen, versuchen die anderen möglichst neutral aufzuklären. Zwar gab es auch in Österreich Bauernproteste, im Frühjahr 2020 zogen rund 3300 Demonstranten mit 1500 Traktoren und dem Slogan „Spar Dir Deinen Geiz“ vor eben genau die Konzernzentrale dieses Lebensmitteleinzelhändlers – die darauffolgende und auch letzte Protestaktion, über die überregional berichtet wurde, war dann allerdings bereits eine Solidarkundgebung für die zuletzt von der Regierung Modi gebeutelten Kleinbauern in Indien Ende 2020.

„Spar Dir Deinen Geiz“

Motto der österreichischen Bauern im Frühjahr 2020

Es wäre allerdings eine müßige Diskussion, zu überlegen, ob die Kolleginnen und Kollegen im Süden generell finanziell besser aufgestellt oder vielleicht doch einfach genügsamer sind – vielmehr müsste die zentrale Frage lauten, warum es nicht auch bei uns ein Onlineinformationsangebot wie das von Land schafft Leben gibt. Geld sollte genug im Umlauf sein, Frau Klöckners sagenumwobene Bauern-Milliarde, die 50 Mio. €, die der eine Discounter erst ausgeblobt hat, dann angesichts des offensichtlichen Widerwillens der Konkurrenz, bei der Scharade mitzuspielen, am liebsten niemals erwähnt hätte – mit Brotkrumen dieser schwindelerregenden Beträge ließe sich bereits der Startschuss für ein solches Verbraucherportal geben. Wie dies dann im Fall von Möhren bspw. aussehen könnte, zeigt sehr anschaulich https://www.landschafftleben.at/lebensmittel/karotte.

Tim Jacobsen

Bitte auch einmal fünf gerade sein lassen, liebe Kollegen

Dass es ziemlich befriedigend sein muss, sich über Steingärten lustig zu machen, lässt sich schon allein daran ablesen, dass sich auf das Posten von Gabionen oder frisch gekiesten Flächen die immer gleichen Leute wie auf Knopfdruck versichern, wie sie aus der Welt einen schöneren Ort machen würden, wenn man sie nur machen ließe. In ihrer vermeintlichen ästhetischen Überlegenheit vergessen sie dann nur schnell, dass andere Leute vielleicht einfach einen anderen Geschmack, schlichtweg andere Bedürfnisse oder finanzielle Grundvoraussetzungen haben.

Natürlich sind Steingärten in vielerlei Hinsicht nicht das Gelbe vom Ei, wenn dann die größten Empörungsschreie ausgerechnet vom Chef einer im Südwesten beheimateten Zeitschrift kommen, der im Hauptberuf Verkaufsanzeigen für Bagger und andere Gerätschaften auch zum Gabionenbau und der Flächenbekiesung bebildert – und der dann im Nebenjob Bücher über den Irrsinn derselben verfasst, dann ist das erst einmal nicht superkonsequent, aber auch nicht weiter erwähnenswert.

Und wenn man sich dann aber einmal zwei Minuten Zeit nimmt, darauf aufmerksam zu machen, dass es einfach nicht jedem vergönnt ist, im eigenen Schloss samt Park zu wohnen, dann eskaliert das ganze superschnell und als eher zurückhaltender Mensch bekommt man es dann vor allem auch schnell mit der Angst zu tun: wenn es nur ein paar Steinchen braucht, bis der Vulkan explodiert, möchte man ungern herausfinden, was passiert, wenn es wirklich einmal um etwas geht.

Tim Jacobsen

Die weiteren Aussichten: zunehmend stürmische Böen oder Sturmböen

„Realitätschock“ ist das passende Buch für ein Jahr, indem im Rückblick Januar und Februar vielleicht noch mit die beiden besten Dinge waren. Zwar ließe sich argumentieren, dass die dunkle Jahreszeit vielleicht der unpassende Zeitpunkt ist für zehn wenig aufmunternde Lehren, die Sascha Lobo aus einer scheinbar ständig komplexer werdenden Gegenwart zieht. Vielleicht hat der Blogger und Buchautor aber auch Recht, wenn er behauptet, dass wir uns viel zu lange ausgeruht haben auf einer Art von Wunschvorstellung und uns nun wappnen sollten für kommende Brüche und Veränderungen.

Und dafür braucht es Lobo zufolge eine gewisse Alarmiertheit und den Schmerz der Erkenntnis. Mit Klimawandel, Brexit, Rechtspopulismus, Mi- und Integration lässt er keines der gegenwärtig großen Problemfelder aus. Lobo will die Probleme nicht gegeneinander ausspielen, vielmehr möchte er uns zeigen, dass wir in sehr vielen Bereichen unseres Lebens eine Wunschvorstellung für die Realität gehalten haben – eine Erkenntnis, die während der Lektüre langsam einsickert und deren Wahrheitsgehalt sich mit jeder weiteren Covid-19-Katastrophenmeldung weiter bestätigt. 421 Seiten kosten 12,00 €.

Tim Jacobsen

Keine Feier ohne … Julia Klöckner

Der Oktober hatte es in sich: nicht nur ging mit der Landung von Julia Klöckner unser neuer Hauptstadtflughafen in Betrieb, im Gepäck hatte die Landwirtschaftsministerin am 21.10.20 zudem die Verhandlungsposition der EU-Agrarminister zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Zwei Tage später hatte dann auch das EU-Parlament angesichts von knapp 2 000 Änderungsanträgen zwar wahrscheinlich zumindest in so manchem Detail den Überblick verloren, sich dann aber letztendlich doch auch auf eine gemeinsame Linie geeignet.

Den ersten Geburtstag feiern konnte im Oktober „Land schafft Verbindung“. Der Gründungslegende nach hat Julia Klöckner auch in diesem Fall den Startschuss gegeben haben, indem sie in einem Interview zur Nitrat-Richtlinie androhte, Strafzahlungen von der Altersvorsorge der Bauern bezahlen zu wollen, falls die Landwirte nicht mitspielten. Maike Schulz-Broers stieß dies so sauer auf, dass sie die Facebook-Gruppe „Land schafft Verbindung“ (LsV) ins Leben rief, innerhalb weniger als 24 Stunden zählte diese tausende von Mitgliedern.

Zum dritten Mal zum Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV) gewählt wurde ebenfalls im Oktober Joachim Rukwied – wie könnte es anders sein, nach der Videoeinspielung eines Grußwortes von Julia Klöckner. Startete Rukwied seine erste Amtszeit noch mit nordkoreanischen 95 %, waren es vor vier Jahren 89 %, dieses Jahr konnte er gerade noch vier Fünftel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen.

Im Gegensatz zu 2008, als der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter die Gunst der Stunde nutzt und sich neben dem Platzhirsch positionieren wollte, konnte LsV in den letzten zwölf Monaten davon profitieren, dass die Problemlage mit Düngeverordnung, Klimaschutz und Biodiversität sehr viel breiter ist als die eher monothematisch angelegten Milchpreise; und während Facebook deutschlandweit im Jahr 2008 noch bei insgesamt 100 000 Nutzern dümpelte, brachte es LsV innerhalb weniger Monate auf über 30 000 Abonnenten.

Zwar ist dies im Vergleich zu rund 285 000 im DBV organisierten Mitgliedern noch vergleichsweise überschaubar, dass etwas im Gange ist, was sich wie der sprichwörtliche Geist nicht wieder zurück in die Flasche zwingen lässt, zeigt, dass Rukwied in seiner Grundsatzrede zum einen dazu aufforderte, den Altherrenclub DBV zu verjüngen, wobei sich aus Sicht des DBV-Präsidenten davon schon alle unter 40 Jahren angesprochen fühlen dürfen; zum anderen entdeckte Rukwied in Erfurt anscheinend auch das andere Geschlecht und forderte „die Frauen“ auf, sich zu engagieren und im DBV einzubringen.

„Gemeinsam. Europa wieder stark machen“

Das Motto der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist wichtiger denn je

Als Präsident des Ausschusses der berufsständischen landwirtschaftlichen Organisationen war Rukwied auch an den Verhandlungen zur Gestaltung des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 (MFR) beteiligt, der – und so schließt sich der Kreis – letztendlich Voraussetzung für die Ausgestaltung der GAP ist. Im Juli 2020 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf einen MFR in Höhe von 1 074,3 Mrd. €; ein Wiederaufbaufonds (NGEU) mit zusätzlich 750 Mrd. € soll helfen, die Coronafolgen zu lindern. Für die erste Säule der GAP sind 356,4 Mrd. € vorgesehen, für die zweite Säule 77,8 Mrd. €. Während die Kombination aus MFR und NGEU von manchem EU-Parlamentarier als „historischer Schritt“ begrüßt wurde, erkannten andere in der Gestaltung des MFRs hauptsächlich die Zementierung eines „weiter so“.

Da nun also sowohl der Finanzrahmen als auch die Positionen von Agrarrat (Sie ahnen es bereits: natürlich unter Vorsitz von Julia Klöckner) und Parlament stehen, geht es in die Trilogverhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat. Allzu riesengroß sind die Abweichungen nicht: das Parlament will 30 % der Direktzahlungen an höhere Umweltstandards koppeln – die sog. Eco-Schemes – und eine Umwidmung von 10 % der landwirtschaftlichen Fläche in biodiversitätsfördernde Landschaftselemente. Direktzahlungen sollen bei 100 000 € gekappt werden, außer es kommen mehr als 12 % der Direktzahlungsmittel kleinen und mittleren Betrieben zugute. 35 % der Zweiten-Säule-Mittel sollen für Klima- und Umweltmaßnahmen ausgegeben werden.

Dem Agrarrat hingegen reicht ein verpflichtendes Mindestbugdet für Eco-Schemes von 20 % in insgesamt abgeschwächter Form. Mehr Wahlfreiheit für die Umsetzung höherer Umwelt- und Klimastandards und eine Beibehaltung der in der aktuellen GAP enthaltenen Regelung zu produktionsgekoppelten Beihilfen atmen eher den Geist eines „alles bleibt so wie es ist“. Es wird erwartet, dass der Trilog im ersten Quartal 2021 abgeschlossen werden und die GAP dann ab 2023 greifen kann.

Der Oktober brachte aber nicht nur Entwicklungen mit sich, deren Auswirkungen sich mal mehr, mal weniger direkt bemerkbar machen werden: Die Bundesregierung beschloss Ende am 28.10.20 die stufenweise Erhöhung des Mindestlohns auf über 10 € bis Juli 2022 und das Länderministerkanzlerinnenkabinett (MPK) versetzte wenige Stunden später Veranstaltungsgewerbe, Hotels, Gast- und Sportstätten in einen verfrühten Winterschlaf, aus dem wir Anfang Dezember hoffentlich möglichst zahlreich wieder erwachen. Der Oktober brachte deutschlandweit auch flächendeckend Regen – genügend, um nach der eingangs erwähnten erfolgreichen Eröffnung des Berliner Flughafens auch mit einer guten Nachricht enden zu können.

Tim Jacobsen

Kein Kurzstreckenlauf, sondern ein Ultramarathon

Es ist ein bisschen, wie wenn alle bereits wüssten, dass bald wieder landesweit Stubendienst angesagt ist: Da harrt die muntere Tennisrunde am Freitagabend dann noch einmal besonders lange aus, schließlich gelten die verschärften Versammlungsregeln ja erst ab Samstag. Ein Schelm, wer denkt, dass es epidemiologische Erkenntnisse waren, die dazu geführt haben, den Niederlanden in ihrer Gesamtheit ausgerechnet ebenfalls genau zum 17.10.20 hin den Status Risikogebiet zu verleihen, mit samt all der damit zusammenhängenden Quarantäneauflagen. So konnten die Urlauber aus den alten Bundesländern bis zum turnusmäßigen Wechsel zumindest noch eine Herbstferienwoche lang die vielleicht überhaupt letzten Tage ohne Alltagsmaske genießen.

Nach all dem, was sich gegenwärtig abzeichnet, wird auch der erste Coronawinter nicht unser letzter sein

Tim Jacobsen

Da wird im spärlich möblierten Norden noch umarmt und geherzt, im Süden der Republik lautet dagegen in den Pendlervororten Münchens die Losung, dieses Jahr nicht mehr ins Büro in die Landeshauptstadt zu kommen – so unterschiedlich die Bedrohungslage, so unterschiedlich auch der Umgang damit. Das Frühwarnsystem leere Toilettenpapierregale spricht allerdings eine deutliche Sprache, genauso wie die Zahlen des Robert Koch Instituts. Wer aber jemals die Quarantäneanordnung des Gesundheitsamtes nach Ablauf ebendieses Quarantänezeitraums bekam, bekommt Zweifel, ob wir tatsächlich noch Herr der Lage sind.

Die Zweifel werden dann nicht kleiner, wenn sich das Ganze innerhalb von sechs Wochen noch einmal wiederholt. Nun mag dies ein Bonner Spezifikum sein, warum aber jemand bspw. Halligallidrecksauparty auf dem Balkan feiern, sich dann mit einem zumindest in Bayern auf Kosten der Gemeinschaft gehenden Coronatest die Absolution erteilen lassen kann und Kinder, die für eine Kursstunde das Klassenzimmer mit einem später positiv getesteten Mitschüler teilten, ohne Pardon vierzehn Tage in Quarantäne, also dem Gesundheitsamtwortlaut nach in ihr Zimmer eingesperrt werden müssen, ist zumindest schwierig nachzuvollziehen.

Es lag mit Sicherheit auch an der der Land- und Forstwirtschaft wenig zuträglich durchweg äußerst freundlichen Wetterlage, dass viele der im Frühjahr eingeführten Einschränkungen kaum jemanden sauer aufstießen. Was aber passiert, wenn Lockdown und miesepetriges Wetter die Menschen nicht mehr aus dem Haus kommen lässt? Demonstrationen in Berlin und anderswo haben gezeigt, wie schnell der gesellschaftliche Diskurs gegenwärtig eskalieren kann. Im März hat sich niemand vorstellen können, dass der November nun bereits unser neunter Monat unter Coronavorzeichen ist. Nach all dem, was sich gegenwärtig abzeichnet, wird auch der erste Coronawinter nicht unser letzter sein.

Tim Jacobsen

Ein Buch nicht nur für die stade Zeit

Die Gegensätze hätten kaum größer sein können: auf der einen Seite abgehängte Jugendliche auf der Suche nach dem schnellen einfachen Geld, auf der anderen Seite der auf den ihm verbliebenen beiden letzten Hektaren lebende Eremit, der trotz seines hohen Alters mehr recht als schlecht seine ihm verbliebenen vier Fleischrinder versorgt. Was in „Das Buch Daniel“ auf 256 Seiten folgt ist ein was-wäre-wenn in bester Tradition von Truman Capotes „Kaltblütig“:

Hätte Daniel Maroy nicht aus grundsätzlichem Misstrauen dem Bankwesen gegenüber nahezu sein gesamtes Vermögen im Hosensack spazieren getragen, um besser darauf aufpassen zu können und hätte der Azubi an der Fleischtheke dies nicht ausgeplaudert, könnte Maroy sich auch heute vielleicht noch an dem einzigen Luxus, den er sich gönnte, erfreuen: wöchentlich ein Steak und dazu ein oder zwei Gläschen Rodenbach.

Hätte er nicht erst seinen Vater, dann seine Mutter und schließlich seinen Bruder bis an ihr Lebensende gepflegt, hätte er mit seinem Werben um die von ihm Angebetete vielleicht mehr Erfolg gehabt und wäre nicht der letzte der Maroys gewesen. Und hätte er nicht mit seinem Traktor den Verkehrsunfall gehabt, infolge dessen dieser von der Polizei eingezogen wurde, hätte er nicht seine Einkäufe am Fahrradlenker transportieren müssen.

Und hätte ihm dann noch der Supermarkt nicht angeraten, allenfalls am Samstag kurz vor Feierabend kommen zu dürfen, wäre höchstwahrscheinlich sowieso alles anders gekommen. So aber konnten ihn die Jugendlichen innerhalb seines Vierkanthofes abpassen und berauben. Zwar schleppt er sich daraufhin noch schwerverletzt noch ins Wohnzimmer, der zweiten Angriffswelle kann er dann aber nichts mehr entgegen setzen.

Ganz nebenbei, aber nicht weniger eindringlich, ist es auch ein Buch über die Schwierigkeit, in Frieden alt werden und alt sein zu dürfen

Tim JAcobsen

Dass in Folge dessen zur Spurenbeseitigung der Hof abgefackelt wird, erfährt man in Chris de Stoops Neuerscheinung bereits ziemlich am Anfang. Dass zwischen dem Samstag, an dem Maroy erst ausgeraubt, dann umgebracht wird, und dem Samstag, an dem sein Hof brennt, eine ganze Woche liegt, realisiert man beim Lesen erst nach und nach. Und spätestens dann kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

„Das Buch Daniel“ ist eine Geschichte über Jugendliche außer Rand und Band, über überforderte Erwachsene, über dysfunktionale Kommunalverwaltung, über Landwirtschaft, wie sie nur noch im Geschichtsbuch zu finden ist und über De Stoops Lieblingsthema, dem Strukturwandel und die Spuren, die er im ländlichen Raum hinterlässt. Ganz nebenbei, aber nicht weniger eindringlich, ist es auch ein Buch über die Schwierigkeit, in Frieden alt werden und alt sein zu dürfen.

Spätestens als die Polizei-bekannten Jugendlichen auf ihren neuen Smartphones ihre Missetaten öffentlich zeigen und auf ebenfalls neu angeschafften Mopeds weiter ihr Unwesen treiben, hätte ein beherztes Einschreiten vielleicht noch Maroys Leben retten können. So aber liegt im belgisch-französischen Grenzgebiet ein Mafia-ähnliches Schweigen bleiern über allem. Erst als die Jugendlichen Maroys Hof in Brand stecken, beginnt sich das Blatt zu drehen.

De Stoop portraitiert die Jugendlichen auf nüchterne Art, gleichzeitig gelingt es ihm, ein schriftstellerisches Denkmal mit allen Kanten und Ecken für seinen Onkel zu verfassen. Obwohl er ihn zu Lebzeiten kaum kannte, vertritt de Stoop die Familie im Mordprozess. Dies sichert im Zugang zu allen Dokumenten, die auch der Anklage zur Verfügung standen, gleichzeitig ist er sich aber auch nicht zu schade dafür, den zu 15 Jahren Haftstrafe verurteilten Haupttäter im Gefängnis zu besuchen.

Was dabei passiert, ist der letzte, wenn auch dieses eine Mal zumindest nicht aufgelöste Cliffhanger in Chris de Stoops auf wahren Begebenheiten basierenden Genre-sprengenden Kriminalroman im Reportageformat. Ein Buch, das an die großen Fragen rührt und das im Gegenüberstellen von Daniel Maroy, der Dorfgemeinschaft und den Jugendlichen keine einfachen Antworten gibt. „Het boek Dankiel“ ist in der Uitgeverij De Bezige Bij erschienen, eine deutsche Übersetzung ist in Arbeit.

Tim Jacobsen

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