"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Autor: juetim (Seite 5 von 17)

Seit dem erfolgreichen Abbruch einer wissenschaftlichen Karriere lebt und arbeitet Tim Jacobsen gemeinsam mit Frau, Familie, Goldfischen und Katze in Bonn

Ein ganzes Leben oder Landwirtschaft 1.0

Was anderswo und zwar durchaus in sehr vielen Teilen der Welt heute noch gang und gäbe ist, ist auch bei uns noch gar nicht so lange her: Landwirtschaft als eine Plackerei von früh bis spät mit insgesamt eher ungewissem Ausgang. Und so setzt einen das Filmplakat zu Hans Steinbichlers Verfilmung von Robert Seethalers Bestseller „Ein ganzes Leben“ auf die falsche Fährte, schließlich geht es darin eben nicht um die darauf abgebildete Schönheit der Berge oder ein dem entschlossenen Gesichtsausdruck des Hauptdarstellers entsprechendes alpinistische Rekordstreben, sondern eher ziemlich genau eher um das Gegenteil davon. Oder wie Regisseur Hans Steinbichler die Wahl der die Panoramen beschneidenden Kameraperspektive erklärt: Es sei ein relativ neues Phänomen, dass der Blick in den Bergen nach oben gehe. Schließlich seien von oben seit jeher eher die Unglücke herabgekommen – dagegen hätte im direkten Blickfeld vor einem die nie enden wollende Arbeit gelegen.

Wie ein Koffer wird die Hauptfigur Andreas Egger im Film in dieser Bergwelt abgestellt. Wir dürfen ihm dabei zusehen, wie er trotz Entbehrungen, Schicksals- und anderen –schlägen ein kleines Stück vom Glück findet, nur um es kurz darauf wieder zu verlieren. Er erlebt die Elektrifizierung seines Tals, überlebt Krieg und Gefangenschaft, hilft unter Einsatz seines Lebens dabei, die Berge touristisch zu erschließen und hat wahrlich allen Grund, am Ende seines Lebens müde zu sein. Dennoch, und das macht diesen Film gerade in der Weihnachtszeit so außergewöhnlich sehenswert, resümiert er sein Leben am Ende: „Wenn ich nicht so müde wäre, könnte ich lachen vor reinem Glück.“ Auf die Frage, was denn Seethaler von dem Ganzen halte, antwortete Steinbichler, dass bei der Premiere drei Tage zuvor Seethaler eben genau dies gefragt wurde und er darauf geantwortet hätte, dass er wohl als Einziger den Film nicht gesehen habe.

Tim Jacobsen

Breit aufgestellt in die Zukunft

Auch wenn die Engländer eigentlich den Unterschied zwischen einem Castle und einem Herrenhaus sehr genau nehmen und Castle Howard dementsprechend gar keine Burg, sondern ein Manor House sein müsste, hat, ebenfalls wieder typisch englisch, trotz der semantischen Unschärfe die eindrucksvollere Gebäudebezeichnung letztendlich das Rennen gemacht.

Von Anfang an war der seit über 300 Jahren von Familie Howard genutzte barocke Perle nicht für Verteidigungs- sondern Repräsentationszwecke gedacht und das funktionierte damals auch schon ein bisschen wie aus dem legendären Bausparkassenvideo über ein fiktives Klassentreffens bekannt: statt mit mein Boot, mein Haus, mein Auto zu  glänzen ging es darum, einer möglichst beeindruckenden Kunstsammlung ein möglichst spektakuläres Zuhause zu geben.

Und so reisten die weitgehend von lästiger Erwerbstätigkeit befreiten Nobelmänner und –frauen von Kunstsammlung zu Kunstsammlung, im Gepäck hatten sie dann jeweils Visiten-karten sowie eine Einschätzung des Gesehenen, in gewisser Weise ähnelte das Ganze streng genommen stark den moderen Social Media nur halt ohne Internet. Der Dritte Earl of Carlisle konnte sich vor Likes wahrscheinlich kaum retten, denn so etwas gab seinerzeit in Privathäusern nicht:

Die vier Figuren, die die die Ansicht des Castle auch heute noch oder besser wieder prägende 21 m hohe Kuppel tragen, wurden in den Jahren 1709-1712 von niemand geringerem als Giovanni Pellegrini künstlerisch ausgearbeitet, der bereits das Kuppelgemälde in der Londoner St. Paul´s  Cathedral gemalt hatte. Fast schon überflüssig zu erwähnen, dass Charles Howard der erste war, der einen nicht säkularen Prachtbau von einer Kuppel krönen ließ und dies wahrscheinlich nur möglich war, weil mit dem Dramaturgen und Tunichtgut John Vanbrugh jemand Fachfremdes für die Architektur zuständig war.

Schön, aber auch nicht ganz billig

Dass das Ganze natürlich auch mächtig ins Geld ging, lässt sich daran ablesen, dass die Bauarbeiten für den Ostflügel nur langsam in Schwung kamen und zwei Earls of Carlisle später der Westflügel dann in deutlich abgespeckter Form errichtet wurde, was der unsymmetrischen Fassade auch heutzutage noch einen ganz besonderen Charme verleiht. Als es finanziell wieder einmal besonders knapp wurde, musste auch der noch weit von Geschäftstüchtigkeit entfernte Nachfolge-Earl die Schuldurkunden mitzeichnen, da allen Beteiligten klar war, dass eine Generation nicht ausreichen würde, um die über Generationen angehäuften Schulden auch nur ansatzweise tilgen zu können.

Auch heute noch verschlingt der Unterhalt eines solchen Gebäudes erhebliche Summen. Und gar nicht so selten müssen Schlossbesitzer im Vereinigten Königreich und wahrscheinlich auch anderswo trotz all der gemeinhin vermuteten Schätze und Ländereien angesichts zuweilen zu großer Diskrepanzen zwischen Ein- und Ausgaben die Finger zum Schwur heben. In der wechselvollen Geschichte gab es aber auch immer wieder glückliche Umstände, die die größten Löcher stopfen halfen.

Tu felix austria, nube

So war es eine Zeitlang unter Sprösslingen von in der Welt zu immensem Reichtum gekommener Familien en vogue, sich jemanden des alten Adels Englands zu angeln. Auch der Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Union begünstigte Großgrundbesitzer finanziell. Flächenprämien waren zuvor nicht Teil der Bilanzen gewesen.

Mitte des 18. Jahrhunderts konnte der 7. Earl of Carlisle nicht weniger als fünf Dörfer und rund 5300 ha sein eigen nennen, am eigenen Bahnhof konnte er auch Queen Victoria samt Mann begrüßen. Ein knappes Jahrhundert später dann ein Schicksalsschlag, der Castle Howard fast das Schicksal von Henderskelfe Castle bescherte, der Burg an gleichem Ort, auf deren Ruinen Castle Howard errichtet wurde.

Am 9. November 1940 – und auch hier gibt es wieder eine wahrscheinlich typische englische Unterscheidung in Dinge, die während des Kriegs passierten und Dinge, dei wegen des Kriegs passierten- zerstörte ein verheerender Brand während des Kriegs Kuppel und Teile des Anwesens. Es dauerte 22 Jahre, bis 1962 die Kuppel wieder aufgebaut war, bereits zehn Jahre zuvor war Castle Howard wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

2019 noch 270 000 Besucher

Höhepunkt des Besucherjahres ist, wenn sich im Herbst in einem zweiwöchigen Handumdrehen das ganze Castle in ein Weihnachtswunderland verwandelt. Dieses Jahr lautet vom 2.11.2023 – 2.01.2024 das Motto Christmas in Neverland. J.M. Barries Peter Pan samt Kapitän Hook und Piraten werden zum Leben erweckt, Jolly Rogers wird die Gallerien entlang segeln und die prächtigen historischen Räume sich in tropische Lagunen verwandeln.

In etwa jeder dritte der 270 000 Besucher nutzt die Weihnachtszeit für eine Stippvisite. An Heiligabend bzw. Boxing Day ist allerdings geschlossen, Familie Howard will den 15 m hohen Baum im Kuppelsaal dann ganz für sich selbst haben. Wahrscheinlich hauptsächlich, um Geschenke darunter zu verstecken – und ein bisschen vielleicht auch dafür, sich selbst zu belohnen, das Hasardeurstück, einen dermaßen großen, schweren und furchtbar umständlich zu handhabenden Baum im Innenraum aufzustellen, wieder einmal gemeistert zu haben.

Diversifizierung ist King

Allerdings reicht der finanzielle Erlös aus dem Kartenverkauf – Weihnachtsshow hin und her – nicht, Gärten und Schloss in Schuss zu halten. Auch der Beitrag, den die Landwirtschaft liefern kann, macht aus roten noch keine schwarzen Zahlen, auch wenn das Fleisch der Rinder der Aberdeen-Angus-Mutterkuhherde dann im äußerst gut bestückten Farmshop zu durchaus kostendeckenden Preisen verkauft wird. Ein Teil der landwirtschaftlichen Flächen dient dem Vertragsnaturschutz, auf den selbst bewirtschafteten Flächen wird hauptsächlich Winterweizen und Triticale angebaut.

Wurzelgemüse- und Kartoffelspezialisten sorgen für die Bestellung eines weiteren Teils der Flächen, Grün- und Brachland machen den Rest der nicht bewaldeten Flächen aus. In den Wäldern von Castle Wood ersetzen einheimische Eichen, Bergahorne und Kirschen zusehends die Nadelbaumbestände. Der Castle-eigene Brennholzlieferservice erfreut sich großer Beliebtheit.

Als eine der letzten Baumschulen auf der Insel liefert Castle Howard´s Tree Nursery Bäume made in Britain. Eine beachtliche Sammlung mehr oder weniger exotischer Species sind im Yorkshire Arboretum unweit des Haupthauses zu finden und macht Appetit auf einen Besuch des ebenfalls sehr gut bestückten Garden Centres, von dessen Freilandflächen, wie könnte es anders sein, stets auch die Schlosskuppel zu sehen ist.

Typisches und untypische Einkommensquellen

Neben dem Hofladen mit seiner Auswahl regionaltypischer Produkte gibt es natürlich auch noch den für Sehenswürdigkeiten typischen Shop mit Andenken und Souvenirs in allen Farben, Formen und Preisklassen. Etwas versteckt hinter dem Great Lake liegt der sog. Caravan Park, ein Camping- und Glampingplatz, der dem Vernehmen nach sehr gut gebucht sein soll und einen wesentlichen finanziellen Beitrag zum Erhalt leistet.

Wer dann schon immer gerne einmal im Great Lake schwimmen gehen wollte, ist beim sog. Multisport-Event herzlich willkommen: Aqua-, Tri- und Duathlon sowie diverse Einzeldisziplinen stehen zur Auswahl, es geht durch den Great Lake und über die nach der Familie benannten Howardian Hills.

Etwas komfortabler sind die ehemaligen Landarbeiterhäuschen, die liebevoll saniert mit Holzofen und Antiquitäten direkt aus dem Schloss an diejenigen vermietet werden, denen eine ungnädige Genealogie nicht sowieso einen eigenen Palast beschert hat. Die nobleren unter uns, dürfen dann auch im Haupthaus schlafen und zwar genau in den Betten, die auch beim Rundgang zu sehen sind.

Filmstar Castle Howard

Und wer nun denkt, dass er oder sie Castle Howard schon einmal irgendwo gesehen haben, dann lässt sich anhand des Geburtsjahres schnell herausfinden, wo das gewesen sein könnte. Den Älteren fällt vielleicht Brideshead Revisited ein, der Zehnteiler samt Kinofilm, der eine Restaurierung des beim Brand zerstörten Gartensaals erlaubte. Die musikalisch Begeisterten erinnern sich vielleicht an den Videoclip zu Four out of Five, in dem der Arctic Monkeys Leadsänger Alex Turner sogar das Broadwood square piano aus dem Jahr 1805 spielen darf.

Der Zeichentrickkater Garfield hat auch schon in dem Schloss gewohnt und wer vergeblich das aus der Streamingserie Brigderton bekannte Clyvedon Castle gesucht und nicht gefunden hat, sollte sich Castle Howard noch einmal genauer anschauen. Nicht nur für Castle Howard sind solche Filmaufnahmen sowohl aus finanzieller als auch aus Aufmerksamkeitssicht äußerst interessant, die ganze Region profitiere vom Aufschlag der Filmcrews.

Tim Jacobsen

Rishi Sunak und seine Konservativen machen einen in Manchester drauf, Man City verliert gegen Wolverhampton und ich wäre bald Tom Hanks geworden

Begonnen hat das Ganze ja ein paar Tage zuvor, da hatte der besuchte Unternehmer netterweise einen Bus besorgt, damit wir allesamt ohne Zeitverlust von links nach rechts und wieder zurück transportiert werden können. Meinen Sitznachbarn habe ich dann ernstscherzhaft gefragt, ob das die letzten Pollen sind , die er da eingesammelt hat, worauf der dann doch seine Männertragödie Erkältung ins Rennen warf. Donnerstagmittag dann der Absturz in Richtung ich-muss-auch-sterben, am Freitag ein kurzes Aufbäumen, um noch die Boardkarte für Samstag im Büro auszudrucken.

Samstag hätte ich dann spätestens stutzig werden sollen, als die 175-Jährige im schön geputzten BMW-SUV vor mir beim Anfahren nach der Grünumschaltung erst einmal mit dem Rückwärtsgang startete, aber da war ich noch zuversichtlich, schlimmer wird es heute nicht mehr. Ankunft in Manchester, wie immer direkt zu meinen Orangefarbenen Lieblingen, aber die so alle-Extras-eingebucht, das ließ sich teils rückgängig machen, OK, aber dann, nein, die Kreditkarte funktioniert nicht. Noch einmal, und danach der Hinweis, dass es nicht sixtmal geht, sondern nach dreimal die Sperre droht.

Plan gescheitert, was tun? Eventuell mit der guten alten EC-Karte weiter nach York? Am Ticketautomaten dann ein Schild, wegen-des-Streikes-werden-schon-gar-keine-Zugfahrkarten-mehr-verkauft. OK, dann vielleicht das Zimmer in York zu stornieren versuchen und stattdessen bei immer noch strömenden Regen erst einmal in Manchester bleiben und den nächsten Tag mit frischen Ideen abwarten?

Billigste Zimmer für eine Nacht 350 Pfund aufwärts, am Flughafen selbst gab es schon gar keines mehr. Zum Flughafenassistancedesk: ja, der Flughafen hat 24/7 auf, würde er zwar nicht empfehlen, aber notfalls könnte ich da schon ruhiges Eckchen irgendwo finden. Kurz noch nach National Express gesurft, aber auch die zwei letzten viereinhalb-Stunden-Verbindungen ausverkauft.

OK, dann langsam mal auf Übernachtung am Schalter einstellen und mit wieder fahrenden Zügen einen neuen Plan entwickeln. Aber erst einmal Wasser kaufen. Und siehe da: Kreditkarte und Code funktionieren einwandfrei. Wieder in den so überflüssig langsamen Bus gesetzt, der das Rental Car Village mit den Terminals verbindet und der dafür länger braucht als der Flug von Köln nach Manchester.

Bei den vielleicht Oktoberfestgeschädigten Alex und Konsti aus Pullach immer noch kein Weiterkommen, aber Franko, mein ganz persönlicher Held des Vermieters aus Parsippany, ließ sich von den Schauergeschichten der Oberbayern nicht entmutigen, und buchte von der Kreditkarte ab.

Und ich konnte fünf Stunden später als geplant und anders als Tom Hanks und sein historisches Vorbild doch noch Car Rental Village mit einem kleinen, feinen fahrbaren Untersatz verlassen.

Rishi Sunak wusste als Regierungschef naturgemäß mehr als ich und natürlich auch bereits von dem Streik und ließ sich samt Frau im standestypischen englischen Allräder zur Party Conference nach Manchester bringen. Noch dazu, wo er ja auch gerade die Pläne für eine Hochgeschwindigkeitszuganbindung Nordenglands gekappt hatte.

Und während die Fußballer von Man City nach Hause fahren konnten, wurden wohl in vielen Hotelzimmern der von außerhalb stammenden Fans die Minibars geleert, ob der verloren gegangenen Partie oder der aufgerufenen astronomischen Hotelpreise wegen der Abertausenden von Parteigranden und Cityfans sei einmal dahingestellt.

Tim Jacobsen

Was Michael Stipe mit Callunen zu tun hat

Es muss ein bisschen das R.E.M.sche „Ende der Welt, wie wir sie kennen“ gewesen sein: vor ziemlich genau 100 Jahren führte die Hyperinflation in der Weimarer Republik ausgerechnet zu Beginn der Adventszeit zu einem Anstieg des Wechselkurses der Mark gegenüber dem US-Dollar auf das Allzeithoch von 1 : 4,2 Billionen (eine Zahl mit zwölf Nullen). Ein Ei kostete Anfang Dezember 1923 320 Mrd. Mark, 1 l Milch 360 Mrd. Mark und 1 kg Kartoffeln 90 Mrd. Mark.

Größter Profiteur seinerzeit war, ein Schelm, wer Böses dabei denkt, das Deutsche Reich, dessen Kriegsschulden mit der dann zur Inflationsbekämpfung eingeführten Renten- und späteren Reichsmark von 154 Milliarden Mark auf lediglich 15,4 Pfennige schrumpften. Auch heute profitieren eher Schulden als Vermögen von Inflation.

Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine verdoppelten sich die entsprechenden Kennzahlen, was gleichbedeutend damit ist, dass bspw. im November 2022 der sog. Anstieg des Verbraucherpreisindexes statt wie 4,4 % im Vorjahr auf einmal 8,8 % betrug. Die Folgen dieses Anstiegs des Verbraucherpreisindexes gegenüber dem Vormonat spüren nicht nur Möbelhändler.

Ein kurzes Rechenexempel: bei einer Inflationsrate von 2 % haben Sie zwar nach zehn Jahren immer noch 1500 € auf dem Konto, damit können Sie aber nur noch für 1225 € einkaufen. Nach zwanzig Jahren ist der Gegenwert des Geldbetrages auf Ihrem Konto dann ganz von selbst fast drei-  statt vierstellig geworden, denn was sich hinter dem etwas sperrigen „Anstieg des Verbraucherpreisindexes“ verbirgt, ist auf gut deutsch gesagt einfach nur, dass alles teurer wird.

Wenn wir, wie im August 2023, also von einer gesunkenen Inflationsrate in Höhe „von nur noch“ 6,1 % sprechen, ist der Preisanstieg zwar kleiner als noch im letzten Winter, aber immer noch erheblich. Vorbei die Jahrzehnte, in denen die Preise, und dabei sollten fairerweise auch die Zinsen nicht vergessen werden, nur so vor sich hin dümpelten. Die Verbraucher stimmen mit den Füßen ab und rennen spätestens seit Februar 2022 den Discountern mehr denn je Tür und Tor ein.

Manche Markenartikler reagieren, indem sie dem Ganzen noch eines obendrauf setzen und erhöhen die Preise mehr, als dass dies der Anstieg der Produktionskosten vielleicht nahelegen würde. Wenig charmant, wird dies dann als Gierflation bezeichnet und führt, wenn die Händler das Ganze nicht mittragen und weitergeben wollen, dazu, dass es nicht Hamsterkaufbedingte Leerstellen in den Supermarktregalen gibt. Die ganz besonders pfiffigen Markenartikler lassen die Preise und Verpackungen gleich, packen aber weniger Inhalt rein.

Der Aufschrei bei den Verbraucherschützern ist dann jeweils groß, letztendlich kommt darin dann aber vielleicht auch eine von ihren Vertretern als Geschäftsgrundlage benötigte Entmündigung der Verbraucher zum Ausdruck. Die Preisschilder in den Supermärkten sind zwar noch nicht ganz so aussagekräftig wie die Packungsbeilagen von Medikamenten, einen mühelosen Preisvergleich erlauben sie jedoch allemal und spielen den Ball eigentlich zurück zu den Verbrauchern.

Schwieriger wird es dann, wenn einzelne Produktbestandteile durch billiger zu beschaffende  Rohstoffe ausgetauscht werden, Palmfett bspw. Sonnenblumenöl ersetzt – Skimpflation bedeutet gewissermaßen, dass auf die Inferiorität des Produktes zwar hingewiesen wird, aber eine Lesebrille für deren Entdeckung vonnöten ist. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass bei uns die Herkunftsbezeichnungen an den Frischetheken, anders als bspw. im Vereinigten Königreich, eher dem Bereich Kleinstgedrucktes zuzuordnen sind.

Es geht auch aber ganz ohne Griff in die Trickkiste. Nach den Pandemierekordjahren war im letztjährigen Herbst Trübsalblasen angesagt für unsere Heidekrautproduzenten. Mit der Fieberkurve Gasspeicherfüllstand und teils absurden Energiepreissteigerungen waren Callunen auf den Einkaufszetteln der Verbraucher ziemlich weit nach unten und der Abverkauf sowohl unter das Niveau der Vorjahre als auch der Vorpandemiezeit gerutscht. Insbesondere die größeren Topfgrößen litten. In diesem Herbst scheint, auch um der Inflation ein Schnippchen zu schlagen, eine Invasion der relativ kleinen Töpfe bevor zu stehen.

Und dabei macht nicht nur billig, billig das Rennen, auch Duos scheinen sich im 11er Topf durchaus wohl zu fühlen und könnten am Ende die Durchschnittspreise auf ein auskömmliches Niveau hieven. Einmal mehr zeigt sich, dass das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage zu äußerst effizienten Lösungen führt. Wer hätte im letzten Herbst gedacht, dass im Frühjahr 2023 die Energieversorger nach einem winterlichen Neukundenaufnahmestopp auf einmal wieder mit Kampfpreisen werben würden?

Et hätt noch immer jot jejange

§ 3 des Kölschen Grundgesetzes

Natürlich liegt das Energiepreisniveau immer noch deutlich über dem vor Februar 2022 – bei aller Dystopie in Michael Stipes „It’s the end of the world as we know it” liegt aber gerade im Ende des Refrains Hoffnung und Ausblick zugleich: „and I feel fine“. Und wenn nicht „fine“, dann zumindest zuversichtlich.

Tim Jacobsen

Blühstreifen XXL

Das naturgemäß am besten aus der Luft sichtbare Bodenbild entlang des Fluss Orbachs ist das Ergebnis einer Kooperation, die es so nicht alle Tage gibt: ein Startup aus dem Oberbayerischen, der in Bonn ansässige Telekommunikationsweltkonzern und die GbR dreier Landwirte vom südwestlichen Ausläufer der Köln-Aachener Bucht fanden sich zusammen, um im 40 ha großen Zuckerrübenschlag der AriWa GbR ein insgesamt rund 10 ha großes Telekom-Logo samt den erklärenden Wörtern #Green sowie Magenta einzusäen. Auf rund 3,2 Mio. Zuckerrüben kommen unweit der Burg Ringsheim mehr als 21 Mio. Wildblumen.

Konnten die Rüben Ende April noch mehr oder weniger in einem Rutsch gedrillt werden, war die Einsaat der Blühmischung deutlich aufwendiger. Gerade die runden Buchstaben hätten Christoph Jeken mehr Mühe bereitet als erwartet. Der Einsatz hat sich jedoch gelohnt. Es ist gerade die scharfe Trennlinie zwischen dem konventionell bewirtschafteten Zuckerrübenbestand mit seinem Ertragspotential von 70 t/ha und dem wilden Durcheinander der Blühmischung mit allem, was darin kreucht und fleucht, die beim Abwandern des Wildblumenlehrpfads zum Nachdenken anregt.

Schulen, Familien und Interessierte sind in den kommenden Wochen eingeladen, das Feld in Sichtweite der Euskirchener Zuckerfabrik zu besuchen und die faszinierende Welt der Biodiversität zu erkunden – ob unter fachkundiger Führung oder auf eigene Faust. Nähere Infos dazu auf www.green-magenta.com. Den Warnhinweis am Eingang des Feldes, ausreichend Getränke und vielleicht einen kleinen Snack mitzunehmen, sollte man durchaus ernst nehmen: die Drohne war schon lange außer Sichtweite, und es war noch nicht einmal der komplette #Green zu lesen.

Tim Jacobsen

Was bei einem Besuch der BUGA vielleicht nicht direkt auffällt

Es ist ein bisschen Vergangenheit und Zukunft, ein bisschen Barock und Postmoderne. Auch wenn das Kerngelände der BUGA 23 die Konversionsfläche rund um die ehemalige Spinelli-Kaserne ist, einst von der deutschen Wehrmacht als Pionierkaserne und nach dem Zweiten Weltkrieg von den US-amerikanischen Streitkräften als Lager genutzt, entspricht der Luisenpark in unmittelbarer Innenstadtnähe wohl eher dem, was typisch Landfrauenausflug von einer Bundesgartenschau erwartet wird.

Oder vielleicht besser erwartet wurde – schließlich war der Luisenpark auch bei der 1975er BUGA in Mannheim einer der Publikumsmagnete. Dennoch oder vielleicht auch gerade deswegen ist es wohl die vom Luisenpark bequem mit einer Seilbahn erreichbare Brachfläche auf der anderen Neckarseite der Teil der BUGA 23, der wohl am Deutlichsten in die Zukunft weist. Und das hat zwar nicht alles, aber sehr viel mit La Canicule zu tun, der 2003er Hitzewelle mit vermutlich 70 000 Toten in Westeuropa.

In letzter Essenz führte die Hitzekatastrophe zum Mannheimer Hitzeaktionsplan. Deutlich mehr Bäume und Trinkwasserbrunnen waren die Folge, auch die gerade viel und allerorten zitierte Schwammstadt hielt Einzug. Das Ganze hatte keine unmittelbaren Effekte – oder, wie das in Klimafragen oft so ist, wäre es anders vielleicht noch schlimmer gekommen: 2022, also vor nicht allzu langer Zeit und immerhin 19 Jahre nach der 2003 Hitzewelle war Mannheim einmal mehr die wortwörtlich heißeste Großstadt Deutschlands.

Die diesjährige BUGA markiert nun, weitgehend unbemerkt, mit der Vollendung des offiziell Grünzug Nordost genannten Plans, durch die Entsiegelung und Räumung des ehemaligen Kasernengeländes einen weiteren Meilenstein zur Verbesserung der klimatischen Situation in der quadratisch-praktischen, aber auch sehr schlecht durchlüfteten Stadt: 62 ha Fläche wurden entsiegelt, neue Grünflächen entstanden, klimaresistente Pflanzen wurden angepflanzt und nach ersten Messungen war es auf dem Kasernengelände ist es nach der ökologischen Konversion in den Nachtstunden nun tatsächlich rund vier Kelvin kühler.

Tim Jacobsen

Es geht auch anders

Beim letzten prae-Corona OECD Better Life Index kam Deutschland auf ein Pro-Kopf-Einkommen von 33 652 US-$ pro Jahr, Finnland lag bei 29 374 US-$. Deutschland damit über dem OECD-Durchschnitt von 30 563 US-$ pro Jahr und Finnland etwas darunter. Andere Statistiken sehen Finnland ein kleines bisschen weiter vor Deutschland, es gibt also allen Grund anzunehmen, dass sich die Durchschnittseinkommen nicht weit unterscheiden.

Dass im finnischen Straßenbild Luxuslimousinen eher selten zu sehen sind, heißt dann auch nicht, dass die Einkommen gleicher verteilt sind als bei uns, sondern ist wahrscheinlich eher Ausdruck einer zurückhaltenderen Mentalität. Nachdem wir an anderer Stelle schon von einem Erdbeerproduzenten berichtet haben, der während der Hauptsaison im Supermarkt noch stets 7,90 € für seine süßen Früchtchen realisieren kann – und dies wohlbemerkt nicht für ein Kilogramm, sondern ein 500 g Schälchen – hier nun der Blick in einen Blumenladen.

Zwischen einem Pizzaexpress, einem Haushaltswarengeschäft und einer Supermarktfiliale ist Kukkakauppa Madonna an der Mariankatu nun nicht unbedingt eine der Topadressen in der finnischen Hauptstadt, sondern insgesamt vielleicht eher im gehobenen Mittelfeld angesiedelt. Spannend ist dann ein Rückblick auf die 51-jährige Unternehmensgeschichte: Es waren die Nachkriegsjahrzehnte, in denen viele Finnen die neu erlangte Freizügigkeit innerhalb des nordischen Wirtschaftraum nutzten, um besser bezahlte Arbeitsplätze in Schweden zu suchen.

Bis weit in die 1980er Jahre hinein konnte der finnische Lebensstandard nicht mit demjenigen im wohlhabenderen Schweden konkurrieren und mit dem Zerfall der Sowjetunion folgte Anfang der 1990er Jahre der nächste Rückschlag. Das Land durchlief eine schwere Wirtschaftskrise, zeitweilig waren bis zu 20 % der Erwerbstätigen arbeitslos. Aber auch davon erholte sich die finnische Wirtschaft: Ob Finnland den Phoenix-artigen Aufstieg des Landes wirklich Nokia zu verdanken hat oder ob umgekehrt Nokia das keineswegs zufällige Produkt einer klugen Wirtschaftspolitik war, wird noch Generationen von wissenschaftlichen Arbeiten füllen.

Unsere Kukkakauppa Madonna konnte sich durch all die Jahre hin behaupten, und hat dies nicht nur, aber auch ihrer Kundenorientierung zu verdanken und so bleibt dann auch heutzutage kein Wunsch unerfüllt: „In unserem Blumenladen finden Sie Blumen, die genau zu Ihnen passen, für jeden Tag, für Hochzeiten und Partys. Auch Schnitt- und Topfblumen sowie alle floristischen Bindearbeiten sind möglich. Für den Transport in die Hauptstadtregion bietet unser Geschäft einen Lieferservice, mit Interflora geht es auch in andere Teile Finnlands oder ins Ausland.“

Hochzeitsbögen und elegante Brautsträuße gibt es genauso wie Kränze für Partys, Taufen und Beerdigungen sowie Sträuße im Wochenabo: „Die Blume der Woche kann ganz nach Ihrer Wahl ein Blumenstrauß, ein Gesteck oder eine Topfblume sein.“ Im digital-affinen Finnland können auf Wunsch Bestellungen natürlich auch kontaktlos über Datenleitungen abgewickelt werden.

Ist das dann alles für sich genommen schon einigermaßen eindrucksvoll, fällt der deutsche Discountpreise gewöhnte Tourist fast vom Glauben ab: Maljaköynnös, bei uns besser bekannt als Mandevilla gehen in überschaubarer Größe für 45 € über den Tresen, die leicht übersetzbaren Pelargoni in nicht unbedingt Topqualität für schlappe 15 €. Da trifft es sich gut, wenn es dann die Pelargonie zusammen mit dem Übertopf zum Setpreis gibt: der Topf kostet solo 7,50 €, klar dass es dann für Beides gemeinsam mit 22,50 € keinen Sonderpreis gibt.

Tim Jacobsen

Der schönste Ausblick ins Mittelrheintal

Die Binnenschiffer können ein Lied davon singen: Im Mittelrheintal wird kein Platz verschenkt. Dementsprechend spannend ist auch, wie sich dort in ein paar Jahren eine ganze BUGA unterbringen lassen soll, zumal die Hotelkapazitäten beschränkt und die Unesco-Welterbeauflagen relativ strikt sind – mit ein Grund dafür, dass entlang der Hochebene erst mit einigem Abstand Windräder zu sehen sind.

Familie Lanius ist mit der Enge des Rheintals seit Generationen vertraut. Es waren die Eltern von Rita Lanius-Heck, die in den 1970-er Jahren den Beschluss fassten, dem vom Rhein in Jahrtausenden gegrabenen Tal des Grand Canyons der deutschen Romantik Lebewohl zu sagen und quer gegenüber vom Aussichtspunkt Schwedenschwanze oberhalb Oberwesels auszusiedeln.

Dass sich just an dieser Stelle ein Aussichtspunkt befindet, hat viel damit zu tun, dass die Silhouette Oberwesels samt des vor sich hin mäandrierenden Rheins wohl einen der schönsten Anblicke des rechtsrheinischen Rheinsteigs sowie des linksrheinisch verlaufenden Rheinburgenwegs bietet.

Nicht ganz unbeteiligt daran ist die Burg Schönburg, die ihren Namen vollkommen zu Recht trägt und deren Turmspitzen ungefähr auf Augenhöhe des Blicks vom Ferienhof Hardthöhe sind. Der Ferienhof ist dann in gewisser Weise der weiterentwickelte landwirtschaftliche Betrieb von Lanius-Heck.

Aufgeteilt in Weinbau und Landwirtschaft betreibt Lanius-Hecks Bruder das Weingut Lanius-Knab im Tal, während sie sich gemeinsam mit ihren Eltern und mittlerweile auch der Tochter Christina Theis daran machte, den „Hof Hardthöhe“ zu einem „Family Resort“ auszubauen, Traktor fahren und Pony reiten inklusive.

Getreu dem Motto „das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“ gibt es Reitangebote für  „Sattelzwerge“, etwas Wagemutigere können „frei wie der Wind“ buchen. Sättel und Reitsportzubehöhr sind dann auch durchgängige, vielleicht nicht immer an den jeweiligen Stellen auch unbedingt gewollte Dekoelemente, übertroffen in ihrer Präsenz nur noch von Jagdmotiven.

Stefan Heck, der die rund 160 ha Ackerland sowie das Grünland und den Forst bewirtschaftet, trägt maßgeblich dazu bei, dass beim Frühstücksbuffet sowie im „hofLaden“ gegenüber der Sattelkammer die eine und andere Wildspezialität zu finden ist.

In Jahrzehnten Jägerei ist dabei einiges an Trophäen zusammengekommen. In der „jägerLounge“ kann ein Teil der Präparate besichtigt werden – einige Naturkundemuseen wären mit Sicherheit neidisch auf die Sammlung. Gerade weggeräumt wurde eines der Prunkstücke der Sammlung, das Bärenfell. Die Geschichte, wie es zu diesem Abschuss kam, könnte man sich auch mit viel Fantasie nicht besser ausdenken:

Nach einigen Tagen erfolglosen Ansitzens auf eben Braunbären kuckte Heck am Telefon zum Zeitvertreib Fotos durch. Just in diesem Moment schickte ihm seine Frau ein Foto von sich mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkels ins tiefste Russland. An und für sich nicht unbedingt eine Außergewöhnlichkeit, da Rita Lanius-Heck aufgrund ihres ehrenamtlichen Engagements in herausgehobener Position doch des Öfteren in Kontakt mit politischer und sonstiger Prominenz kommt.

Als die Jagdkameraden von Heck dies nun aber mitbekamen, kam Bewegung in die Jagdgesellschaft. Die Zelte wurden abgebrochen und ein neues Ziel angesteuert. In der Nähe des Anwesens eines der reichsten Männer der Welt lief Heck dann tatsächlich ein Bär vor die Büchse, Monate später kam das Paket im Ferienhof Hardthöhe an und das stattliche Bärenfell zierte fortan, wie aus „Dinner for one“ bekannt, die „jägerLounge“.

Nun hat die Oberweseler Hardthöhe aber wenig gemein mit der Bonner Hardthöhe, die wiederum mit dem Rheinischen Landwirtschafts-Verlag die Postleitzahl teilt und in der viele eher hartgesottenere Soldatinnen und Soldaten ein- und ausgehen.

Und so gibt es dann unter den vielen Heiratswilligen, die auf der Oberweseler Hardthöhe in der „jägerLounge“ ihre Zukunftspläne besprechen wollen, dann eher wenig überraschend auch viele, die eher zurückhaltend sind, was ihren eigenen Fleischkonsum angeht und vielleicht auch der Jägerei nicht gerade vorurteilsfrei gegenüber stehen.

Und so wurde in gewisser Weise aus dem sehr schmucken Bettvorleger ein Bruno Problembär, der in die Abstellkammer verbannt sein weiteres Dasein fristen muss.

Tim Jacobsen

„Wiederbewaldung eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“

Zwar waren deutlich mehr Mitglieder zum Landesjägertag nach Neuss gekommen, als dies noch bei der Corona-geschwächten 2022er Ausgabe in Dortmund der Fall war. Klar dreistellig ist die Anzahl der Anwesenden am 3. Juni dann auch mit Sicherheit gewesen, die angepeilte 1000er Marke wurde wie allerdings schon beim letzten Treffen vor Corona-Zeiten deutlich verpasst.

Der stellvertretende Bürgermeister sowie der Landrat des Kreises Neuss waren noch recht einfach zu begrüßen, schwieriger wurde es dann mit der stellvertretenden Vorsitzenden und den –mitgliedern des Ausschusses mit dem sehr langen Namen, der die Begrüßung der Ehrengäste des Landesjägertags zum einen etwas gar in die Länge zog, zum anderen in der Anmoderation für den einen und anderen Sprachstolperer sorgte. Honni soit, qui mal y pense, wurde in der ganzen AULNV-Begeisterung dann auch noch fast RLV-Präsident vergessen, immerhin nach Geerlings und Petrauschke Grußwort-Sprecher Nummer drei.

Bernhard Conzen, als Jäger, Landwirt und langjähriges RLV-Mitglied in vielerlei Hinsicht selbst betroffen von den Anfang Juni in Neuss diskutierten Herausforderungen, konnte gewissermaßen schon allein von Amts wegen deutlich fundierter Stellung beziehen als seine beiden Vorredner, die sich mehr oder weniger auf die Betonung der Schönheiten ihrer Heimat beschränkten. Der RLV-Präsident schlug einen weiten Bogen vom konstruktiv geprägten Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Jagd hin zu einer zumindest in Teilen „empörungsbereiten Gesellschaft“ und war schnell beim Jahr 2018, dem Jahr, in dem in NRW erste Wolfsindividuen standorttreu wurden.

Aufmerksamen LZ-Lesern wird nicht entgangen sein, wie sich die Konfliktsituation seither verschärft hat. Angesichts dessen, dass mangels Entnahmemanagements wie bspw. in Frankreich die Freilandhaltung in betroffenen Regionen in ihrer Gesamtheit bedroht ist, forderte Conzen einmal mehr eine kritische Überprüfung unseres Umgangs mit dem größten Raubtier aus der Familie der Hunde. Auch die Präsidentin des Landesjagdverbands NRW kam um das Thema Wolf nicht umhin. Die gemeinsamen Interessen von RLV und LJV wurden dabei mehr als deutlich.

Nicole Heitzig erinnerte in ihren jagdpolitischen Ausführungen am Beispiel der Kitzretter aber auch an die „Rendite“, die die Jägerinnen und Jäger der Gesellschaft zurückgeben würden und ermahnte die Anwesenden, dass „wie wir jagen und auftreten“ maßgeblich über die gesellschaftliche Akzeptanz der Jagd entscheiden würde. Nach Funktionsträgern, Präsident und Präsidentin kam dann die in NRW auch für die Jagd zuständige Ministerin ans Wort und brachte, gewissermaßen als Dank für diese „Rendite“ ihre Wertschätzung gegenüber den Leistungen der Jägerinnen und Jäger zum Ausdruck.

Silke Gorißen appellierte an die Jägerschaft, bei der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe einer nachhaltigen Wiederbewaldung und dem Aufbau klimastabiler Wälder nicht nachzulassen. Forst und Jagd seien dabei Partner, „Wild und Wald“ gleichrangig. Die Wiederbewaldung und die Schaffung klimaresilienter Wälder bezeichnete die Ministerin als „eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“. Zugleich versprach Gorißen den Jägern Planungssicherheit. Sie verwies darauf, dass keine Novelle des Landesjagdgesetzes geplant sei. Was die Afrikanische Schweinepest angehe, sei man in NRW für den Ernstfall gut vorbereitet und in Sachen Digitalisierung der Verwaltung kündigte Gorißen an, dass die Jagdscheinverlängerung und die Jagdstreckenerfassung zunehmend online erfolgen sollen.

Im Hinblick auf den Einsatz technischer Innovationen und die Ausweitung der Jagdzeiten für Reh- und Schwarzwild appellierte die Ministerin an einen verantwortungsvollen mit den neuen Möglichkeiten. Denn auch Gorißen konnte keine Entwarnung geben: Jägerinnen und Jäger stünden nun einmal unter besonderer Beobachtung der Gesellschaft. Was den Wolf angehe, seien kurzfristig keine Lösungen zu erwarten und werde sich das Problem eher noch verschärfen. Es bestünde zwar ein Austausch mit dem für den Wolf in der Landesregierung zuständigen Umwelt-Ressort, die Ansichten seien aber zu unterschiedlich für schnelle Fortschritte. Fast wünschte man sich, dass unser ebenfalls jagdlich aktiver Landesvater ja mal ein Machtwort sprechen könnte.

Traditionell werden auf dem Landesjägertag auch eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen verliehen: Den Biotophegepreis 2023 der Wildtier- und Biotopschutz-Stiftung NRW konnte der Hegering Agger-Sieg in der Kreisjägerschaft Rhein-Sieg für das Projekt „Bestandserhalt und Renaturierung eines Heidemoor-Gagelstrauchbiotops“ einheimsen. Den Lernort Natur-Preis 2023 erhielt die Kreisjägerschaft Bottrop für das Projekt “Natur on Tour”.

Nach der Mittagspause betonte Deutschlands wahrscheinlich einziger Dozent für Wildökologie und Jagdwirtschaft in seinem Vortrag zum Thema „Wald und Wild“, dass der derzeitige Fokus bei der Wiederbewaldung viel zu sehr auf die Wilddichte gerichtet sei. Doch der Ansatz „je mehr ich jage, desto weniger Schäden habe ich“, funktioniere nicht, so Sven Herzog. Sein Appell: „Großflächig denken – kleinflächig jagen“ und empfahl, die Schwerpunktbejagung als Konzept im Waldbau zu integrieren.

Bei Kalamitätsflächen sollte es weniger als Risiko sondern als Chance erachtet werden, auf einem Teil der Fläche „Wildnis“ zuzulassen. „Und warum nicht auf weiteren 5 % der Fläche eine Wildacker einsäen?“ Reiche die Lebensraumkapazität aus und würden trotzdem Schäden auftreten, sei dies ein Zeichen für einen falschen Umgang mit der Wildart. Herzog zufolge sei bspw. Sommerschäle beim Rotwild zu 90 % ein Indiz für falsche Bejagung. Jagdstrategien gelte es dabei stets mit anderen Planungen, insbesondere forstlichen, abzustimmen.

Tim Jacobsen

Superlativ am Rhein

Der Name Engelhorn ist in Mannheim allgegenwärtig. Anfang des Jahres 1890 eröffnete Georg Engelhorn sein erstes Ladengeschäft im an den Mannheimer Planken gelegenen Quadrat O 5 – bis heute ist der Familienname in der Region ein Synonym für gehobene Einkaufserlebnisse. Ein anderer Engelhorn war nichts weniger als der Namensgeber für das Mitte des 19. Jahrhunderts höchsten Hochhauses der Bundesrepublik Deutschland. Das Friedrich-Engelhorn-Hochhaus musste 2013 zwar wegen schwerer Bauschäden abgerissen werden, Engelhorns Verdienste, die auch auf das Jahr 1865 zurückgehen, ficht das allerdings in keinster Weise an: vor ziemlich genau 158 Jahren gründete der Goldschmied und spätere Bürgerwehroberbefehlsinhaber in Mannheim die Badische Anilin- & Soda-Fabrik AG (BASF), deren Werksgelände dann allerdings auf der anderen Rheinseite gelegenen pfälzischen Ludwigshafen am Rhein angesiedelt wurde.

Und das kam so: Da infolge der durch die 1848er Revolution ausgelösten Wirtschaftskrise Engelhorns Goldschmiedewerkstatt in Schwierigkeiten geriet, suchte er sich im Sommer desselben Jahres ein anderes Betätigungsfeld. Mit zwei Partnern gründete er ein Gaswerk, das ebenfalls im Jahr 1848 die Produktion aufnahm. Und statt sich über den bei der Herstellung von Leuchtgases unweigerlich entstehenden Steinkohlenteer zu ärgern, synthetisierte er kurzerhand Anilin-Violett und andere Farbstoffe daraus, was 1861 zur  Anilinfarbenfabrik Dyckerhoff, Clemm und Comp führte. Da für die Produktion der Anilinfarben verschiedene Säuren benötigt wurden, erkannte Engelhorn schnell, dass sich die Gewinne erheblich steigern ließen, wenn der gesamte Fertigungsprozess vom Rohstoff zum Endprodukt in einer Hand liegen würde. Nachdem die angestrebte Zusammenarbeit mit dem Verein Chemischer Fabriken scheiterte, entschied sich Engelhorn dazu, die Produktion der Ausgangsstoffe in Eigenregie vorzunehmen.

Zusammen mit acht Teilhabern gründete er im April 1865 die Badische Anilin- & Soda-Fabrik (BASF). Da das bisherige Produktionsgelände zu klein wurde, wollte Engelhorn ein Grundstück am linken Neckarufer, auf der Mannheimer und damit badischen Rheinseite erwerben. Der Stadtrat war einverstanden, doch das letzte Wort hatte ein Bürgerausschuss. 42 Stimmen waren für den Verkauf des Geländes an die BASF, 68 dagegen. Noch am Nachmittag des 12. April 1865 ging Friedrich Engelhorn bei den Bauern auf der Ludwigshafener Rheinseite auf Einkaufstour. Anschließend machte er sich zügig an den Aufbau der Fabrik. Ein Glücksfall, wie sich noch öfters bestätigen würde. Nicht nur gab es linksrheinisch Platz satt, vergleichsweise früh wurde Ludwigshafen auch Schienen-mäßig erschlossen. Heutzutage werden auf dem zehn Quadratkilometer großen Werksgelände um die 39 000 Menschen beschäftigt.

Hintern den sieben Rheinkilometer, über die sich das Produktionsgelände erstreckt, verbergen sich rund 106 km Straße, 230 km Schiene und drei Bahnhöfe. Nicht weniger als 2850 Kilometer oberirdische Rohrleitungen sind auf dem größten zusammenhängenden Chemieareal der Welt verlegt und sorgen für kurze Wege beim Transport von Produkten und Energie. Wie die Rädchen ineinander greifen lässt sich am besten auf der Werkrundfahrt „Nachhaltigkeit in der Chemiestadt BASF“ in Erfahrung bringen. Wer dann noch wissen will, wie die Frische in die Zahnpasta kommt und was Sofas weichmacht, ist im 2000 m2 Visitor Center mit all seinen Wow-Momenten gut aufgehoben. Wer gerne Wein trinkt, sollte einen Stop in der BASF-eigenen Weinkellerei machen. Seit 1901 versorgt die gutsortierte Auswahl edler Tropfen Gesellschafter, Gäste und Mitarbeitende gleichermaßen.

Sechs Buslinien und rund 13000 charakteristisch rote Fahrräder sorgen dafür, dass alle auch an ihre Arbeitsplätze kommen, ausgebremst werden können sie allenfalls von den sog. AGVs. Die 16,5 m langen automated guided vehicles können bis zu 78 t transportieren. Voll automatisch dann auch das TCL, das sog. Tank Container Lager. Im Jahr 2000 ging das KVT, also das Kombiverkehrsterminal in Betrieb, seitdem wurden dort deutlich mehr als 6 Mio. Container umgeschlagen. Wenig bekannt ist, dass Ludwigshafen und die auf der anderen Rheinseite befindliche Produktionsstätte auf der durch die Rheinbegradigung entstandenen Friesenheimer Insel mit einem sich in 13 m Tiefe liegenden, begehbaren und 770 m langen Tunnel miteinander verbunden sind – eine der wenigen Unterquerungen des Rheins.

Im Nordhafen, einem von drei Häfen am Standort Ludwigshafen, kommt ein Großteil der benötigten Rohstoffe an. Eine Druckluftölsperre verhindert im Fall der Fälle den Austritt von Öl aus dem Hafenbecken. Aus Naphtha wird dann in sog. Steamcrackern unter anderem Ethen gewonnen, ein wichtiger Ausgangsstoff. Ohne den Steam Cracker 2, der ungefähr 13 Fußballfelder groß ist, läuft in Ludwigshafen so gut wie nichts. Rund vier Fünftel allen Inputs findet sich in irgendeiner Art von BASF-Produkt wieder, das restliche Fünftel wird thermisch verwertet. Mehrere Kraftwerke sorgen für die Stromversorgung des Verbundwerks, rein rechnerisch verbraucht der Standort Ludwigshafen ein Prozent des deutschen Stroms. Bis 2050 soll das Werk klimaneutral werden, bis dahin wird noch der eine und andere Kubikmeter Gas in Strom und Dampf verwandelt werden.

Nicht weiter verwunderlich ist Energie dann auch ein heikles Thema. Als Reaktion auf die Energiepreiskrise hatte BASF Anfang des Jahres bekannt gegeben,  etwa zehn Prozent seiner Anlagen am Stammsitz in Rheinland-Pfalz stilllegen zu wollen. Etwa 2500 Stellen sollen allein in Ludwigshafen wegfallen. Eine energieintensive Ammoniak-Anlage und damit verbundene Düngemittelanlagen sollen den Saprmaßnahmen zum Opfer fallen, die Nachfrage soll künftig vom belgischen Antwerpen aus bedient werden. Auf der letzten Bilanzpressekonferenz verwies BASF-Chef Martin Brudermüller darauf, dass die gesamte Chemieproduktion in Europa im vergangenen Jahr zurückgegangen sei. Machte das Geschäft in Deutschland im Jahr 2015 noch etwa ein Drittel der Gewinne von BASF aus, sei es im zweiten Halbjahr 2022 infolge der hohen Energiekosten defizitär gewesen.

Bilanztechnisch ins Kontor geschlagen haben auch die milliardenschweren Abschreibungen auf die Beteiligung am Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea. Statt 5,5 Mrd. € Euro Gewinn wie im Jahr zuvor 2022 dann ein Verlust von rund 1,4 Mrd. €. Gleichzeitig bekannte sich Brudermüller zum Stammsitz Ludwigshafen: „Wir bleiben dem Standort treu, allem Abwanderungsgerede zum Trotz und auch mit Mut zur Weiterentwicklung.“ BASF sei auf einem sehr guten Weg hin zu einer klimafreundlicheren Produktion, setze beispielsweise mehr und mehr erneuerbare Energien ein. „Doch dafür sind wir in hohem Maße von externen Faktoren abhängig“ und verwies auf den Ausbau erneuerbarer Energien und der Wasserstoffinfrastruktur. Dem Vernehmen nach investiert BASF derzeit allein zehn Milliarden Euro in einen neuen Verbundstandort im Süden Chinas – nach dem Vorbild des Werks in Ludwigshafen – oder wie Brudermüller es nennt: man könne nicht „halbschwanger“ sein.

Tim Jacobsen

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »