Nachrichten zur Wettbewerbslage

"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Seite 12 von 17

Dürr, dürrer, Sommer 2018

Herrn

Im Alentejo in Südportugal erreichte die Temperatur am 1. August einen für Europa historischen Höchststand von 47,3 °C. Waren im Jahr 2003 noch hauptsächlich Norditalien, Spanien und Portugal sowie die maghrebinische Mittelmeerküste Opfer einer Omega- genannten Wetterlage, lag das für diese Wetterlagentypische große Hochdruckgebiet mit zwei flankierenden Höhentiefs im Jahr 2015 genau über Deutschland; in Bad Kitzingen konnte vor drei Jahren am 5. Juli der deutsche Allzeit-Temperaturrekord von 40,3 °C gemessen werden.

Wegen der hohen Temperaturen in Kombination mit Rekordstickoxid- und -ozonwerten mussten vor 15 Jahren nach der verhängnisvoll windstillen Nacht vom 11. auf den 12. August im Pariser Vorort Rungis sogar Kühlhallen und –transporter zu Leichenschauhäusern umfunktioniert werden; in der Retrospektive gilt Hoch Michaela mit 70 000 Toten als zweitgrößte Naturkatastrophe Europas überhaupt, nur knapp getoppt vom Messina-Erdbeben vor 110 Jahren. Der volkswirtschaftliche Schaden der Hitzewelle im Sommer 2003 soll eine Größenordnung von rund 13 Mrd. € gehabt haben.

Friedhofsgärtner räumen im Sommer 2018 sogar die Grablichter wegen der Brandgefahr ab

Tim Jacobsen

Auch das Jahr 2018 befindet sich seit geraumer Zeit auf meteorologischer Rekordjagd: die Menge an Regen, die in diesem Sommer nicht gefallen ist, übersteigt Ende Juli in manchen Regionen bereits die Werte für 2003, und der klassische Sommermonat August steht uns ja erst noch bevor. Die Trockenheit zieht sich auf den Publikationen der Wetterdienste wie ein in Alarmfarben gehaltenes Band von Irland über den Norden und Süden des Vereinigten Königsreichs, Nordfrankreich und einer gedachten Verlängerung nach Niedersachsen, die west- und östlichen Alpenausläufer, Ostdeutschland, dem tschechisch-slowakischen Grenzgebiet über weite Teile Polens bis hin nach Lettland, Weißrussland und in die Südukraine.

Vom Weltall aus relativ leicht messbar ist der von der Vegetation absorbierte Anteil der Strahlung. Setzt man diesen in Bezug zum Blattflächenindex, ermöglicht dies eine Zustandsbeschreibung der Vegetation. Flächendeckend und länderübergreifend versprach dieser Indikator schon seit Anfang Mai wenig Gutes und so werden nun auch von Nordirland bis in die baltischen Staaten und darüber hinaus Missernten gemeldet. In Dänemark werden derzeit Steuererleichterungen für Landwirte diskutiert, der Schaden soll sich auf 600 Mio. € summieren. In Schweden sind Waldbrände außer Kontrolle geraten, Lettland hat die Trockenperiode als Naturkatastrophe anerkannt und Litauen den Ausnahmezustand ausgerufen.

Polens Landwirtschaftsminister nutzte den Gedankenaustausch der EU-Landwirtschaftsminister Mitte Juli auch dazu, bei EU-Kommissar Phil Hogan wegen Finanzhilfen für die gebeutelten polnischen Bauern nachzuhören. Und unsere Politiker?

Zwischen Elektromobiltät und Luftreinhalteplänen twitterte die nordrheinwestfälische Umweltministerin nach einem Treffen mit Verbandsvertretern einen Hauch von Verständnis: „Keine Branche ist derart vom Wetter abhängig und von Wetterextremen betroffen wie die Landwirtschaft.“ Und das, obwohl ihre Parteikollegin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft kurz zuvor noch die Landesregierungen mit Blick auf die Kompetenzverteilung zwischen Ländern und Bund in die Pflicht genommen hatte.

Im von der Dürre besonders betroffenen Mecklenburg-Vorpommern wurden mit den Randstreifen ökologische Vorrangflächen zur Futtergewinnung freigegeben, die BVVG-Pachtbeiträge bis Ende des Jahres gestundet. Mähdrescher rücken in unserem nordöstlichsten Bundesland wegen der immensen Brandgefahr vielerorts nur mit Feuerwehrbegleitung aus. In Sachsen-Anhalt wird mittlerweile das Löschwasser knapp und so manches Schwimmbad wird deswegen demnächst wohl „wegen Wassermangel geschlossen“ melden müssen.

Ende Juli sollen bei einem Treffen der Abteilungsleiter der Landesministerien die diesjährigen Witterungsschäden erhoben werden. Und dann wird sich zeigen, ob ein „Ereignis von nationalem Ausmaß“ vorliegt, bei dem dann auch der Bund ausnahmsweise Hilfen leisten kann. Ein klitzekleines Eigentor schoss Mitte Juli Joachim Rukwied bei der Vorstellung der Ersten Erntemeldung des Deutschen Bauernverbandes, als er in fast einem Atemzug beklagte, dass „eine ausreichende Versorgung der Tiere teilweise nur noch durch überregionalen Zukauf möglich ist“, dann daraus Forderungen nach Finanzhilfen für in Schwierigkeit geratene Landwirte ableitete, um kurz darauf das frisch verhandelte Freihandelsabkommen zwischen Japan und der EU zu loben, das die Exportchancen auch für Schweinefleisch vergrößern soll.

Und wie geht es mit dem Sommer weiter? Als „Sommertag“ gelten Tage, an denen Temperaturen von über 25 °C erreicht werden. Seit April hat dieses Jahr jeder Monat mehr Sommertage gehabt, als nach dem langjährigen Mittel eigentlich zu erwarten gewesen wäre – obwohl diese so genannten Klimamittel in den vergangenen Jahrzehnten nur eine Richtung kannten: nach oben. Anfang Juli war bereits die Hälfte der Anzahl Sommertage des Jahres 2003 erreicht – und es ist keinesfalls ungewöhnlich, wenn selbst im Oktober noch der eine oder andere meteorologische Sommertag dazukommt.

Tim Jacobsen

Der Ton macht die Musik

Achtung, fertig, tanzt –wenn mehr als 8000 Menschen nach über fünf Stunden im prallen Sonnenschein lautschreiend minutenlang mit „Ich bin Bauer, Bauer“ ihre Sympathie für die Landwirtschaft bekunden, dann war das Ende Juni 2018 eher nicht die Publikumsreaktion auf die fast zeitgleich von Joachim Rukwied beim Deutschen Bauerntag gehaltene Grundsatzrede, zeigt aber gleichwohl, dass es in Deutschland mehr als nur die eine Landwirtschaften geben muss.

Während sich der Bauerpräsident in Wiesbaden fest davon überzeugt zeigte, dass „gerade wir Landwirte Verlässlichkeit in den agrarpolitischen Rahmenbedingungen brauchen, damit unsere Betriebe in zunehmend volatileren Märkten wettbewerbsfähig bleiben“ und mit „ländliche Räume brauchen Zukunftsperspektiven für die Landwirtschaft, aber auch für andere Wirtschaftsbereiche, vom Handwerk über Dienstleistungen bis hin zu Startups. Gerade für junge Menschen ist das wichtig“ auch noch gleich ein reichlich hypothetisches Patentrezept gegen die Landflucht ins Rennen warf, brauchte Stefan Dettl kein Brüssel, keine EU und auch keine subventionierten Exporte, um für ungleich mehr Begeisterung zu sorgen.

Der Chiemgauer Bandleader brachte auf dem Bonner Kunstraden augenzwinkernd auf den Punkt: Wie leicht zu sehen sei, esse und trinke er nun einmal gerne, seinen Bauchansatz nennt er liebevoll Weissbierspoiler. Nun sei es aber so, dass die leckersten Dinge Dettl zufolge ganz sicher nicht aus den Fabriken der Multinationals kommen, sondern mit Herzblut und Leidenschaft in den im verbandsolympischen „Höher, Schneller, Weiter“ allenfalls am Rande existierenden Unternehmen produziert werden. Und damit in eben jenen Unternehmen, die zwar auch, aber nicht nur von den agrarpolitischen Rahmenbedingungen abhängen und für die Volatilität eher ein Luxusproblem ist. Es seien dann auch genau diese landwirtschaftlichen Unternehmen, die tatsächlich Dienstleistung vor Ort nachfragen, dem Handwerk ein Auskommen sichern und Zukunftsperspektiven für den ländlichen Raum schaffen.

Im Internet kursieren zahlreiche Mitschnitte dieses von Labrassbanda meist als Rausschmeißer kurz vor dem Schlussapplaus intonierten Liedes. Die Videoclips beweisen, dass die Botschaft „klein ist fein und unterstützenswert“ auch über die deutschen Landesgrenzen hinweg auf deutlichen Zuspruch stößt und dies, obwohl sich ja schon gestandene Bayern mehr als nur schwertun, den in atemberaubender Geschwindigkeit abgefeuerten Songtext zu enträtseln.

„Ich bin Bauer, Bauer“

Stefan Dettel

Natürlich sind Grundsatzreden von Joachim Rukwied weder gerapt noch werden sie mit Blech-geblasenen Technobeats unterlegt, dennoch ist es auch bei Dettl weniger der Wortlaut oder das musikalische Brimborium, sondern vielmehr seine Authentizität, die die Dinge, die er von sich gibt, wie große Weisheiten erscheinen lassen. Und so glauben die nicht-Dialekt-Muttersprachler gerne Dettls Eingangs des Konzertes gegebenes Versprechen „es sind schon keine versauten Wörter dabei“.

Faszinierend auch, dass die Geschichte von Labrassbanda eine Geschichte ist, die es so eigentlich gar nicht geben dürfte. Es ist die Geschichte einer musikalischen Idee, die nicht in den großen Musikmetropolen Los Angeles oder London entstand, sondern dort, wo der Gamsbart noch freien Auslauf hat. Und da Dettl auch nach dem rasanten Aufstieg mitten rein ins Rampenlicht seinem Chiemsee die Stange hält, genießt er nicht nur unter der bayerischen Landjugend Heldenstatus: ein charismatischer Typ, der auf dem Dorf lebt, trotzdem cool ist und keiner Feier aus dem Weg geht. Und so ist Labrassbanda auch ein Sinnbild dafür, wie die Sehnsucht nach regionaler Identität gerade in Zeiten von Facebook, Billigflieger und Internet größer wird.

Und so bleibt zu hoffen, dass Julia Klöckners ebenfalls vom Bauerntag stammendes „Bauern erzeugen unsere Mittel zum Leben. Bauern pflegen unsere Kulturlandschaft. Sie sind Träger vieler Traditionen und Innovationen, die unsere Heimat und speziell die ländlichen Regionen prägen. Darauf bin ich stolz. Ich will dafür sorgen, dass wieder mehr Menschen unsere Bauern und unsere Landwirtschaft wertschätzen“ und ihr frommer Wunsch „Ich will eine Landwirtschaft, die stolz ist. Stolz darauf, wirtschaftlich tragfähig und gesellschaftlich akzeptiert zu sein. Die attraktiv ist für junge Menschen. Die sich selbstbewusst den gesellschaftlichen Debatten stellt“ mehr als nur ministrable Lippenbekenntnisse auf dem Bauerntag waren und in allerletzter Konsequenz dazu führen, dass sich Dettl und Konsorten demnächst an einem anderen unserer vielen ungelösten Problemen abarbeiten können.

Tim Jacobsen

Zeit für den großen Wurf

Hätte, hätte, Fahrradkette – obwohl es müßig ist, darüber zu spekulieren, was wohl passiert wäre, hätte Martin Schulz bereits vor der Elefantenrunde am Wahlabend den –kampf aufgenommen – und wären der Zusammenhalts- und Wohlstandsdauerbeschallung nicht die Klärung durchaus relevanter Fragen wie die Gestaltung des digitalen Wandels oder die Zukunft der Alterssicherung zum Opfer gefallen – hätte unsere Bundeskanzlerin in einem zweiten Fernsehduell dann vielleicht doch noch ihre digitalpolitische Bilanz präsentiert.

Und dann wäre deutlich geworden, ob sie überzeugend hätte darstellen können, dass es die Politik ihrer Regierung gewesen ist, die in den zwölf Jahren zuvor dazu geführt hat, dass jede und jeder in Deutschland die Chance bekommt, mit der digitalen Entwicklung Schritt halten zu können. Oder ob es die über drei Ministerien verteilten Digitalverantwortlichen in einer beispiellosen Anstrengung über Besoldungsstufen und Referatsscheuklappen hinweg geschafft haben, die flächendeckende Verfügbarkeit schnellen Internets sicher gestellt und damit auch Stadt und Land wieder näher zueinander gebracht zu haben?

Wahrscheinlich hätte sie auch nicht behauptet, dass unsere Kinder – von einigen schulischen Leuchtturmprojekten abgesehen – das nötige Handwerkszeug für eine digitalisierte Welt an die Hand bekommen und wahrscheinlich wusste Dr. Angela Merkel auch schon vor dem EU-Gipfel in Talinn Ende September, dass Deutschland in der digitalen Welt allenfalls Mittelmaß ist.

Und vielleicht hätte sie die Antwort auf die Herausforderung des digitalen Wandels als ein Infrastrukturprojekt gigantischen Ausmaßes formuliert, weit bedeutender noch als mit Flüsterasphalt geteerte Anbindungen an das Straßennetz oder die Sicherstellung wohnortnaher ärztlicher und schulischer Versorgung.

Womit wir schon mittendrin sind im Ausbau von Infrastruktur als klassischer ordnungspolitischer Aufgabe, deren Notwendigkeit sämtliche Diskussionen über das Wohl und Wehe schwarzer Nullen zum Verstummen bringen sollte. Denn auf die Digitalisierung trifft der Begriff alternativlos zur Abwechslung tatsächlich einmal zu: Wir werden uns ihren Auswirkungen weder bis vor kurzem noch jetzt oder in Zukunft entziehen können – weshalb es eigentlich auch unerlässlich ist, den digitalen Wandel in den Mittelpunkt des politischen Diskurses zu rücken.

Und wenn wir es dann noch hinbekommen, Fortschritt nicht nur als eine kontinuierliche Verbesserung des Bestehenden zu begreifen, sondern auch als etwas explosionsartig Disruptives, dann sind wir wettermäßig zwar immer noch ein ganzes Stück von Kalifornien entfernt, ein bisschen Silicon Valley hätten wir dann aber schon verinnerlicht

Tim Jacobsen

Auf europäischer Ebene steht der Telekommunikationsrechtsrahmen derzeit auf dem Prüfstand. Es wird eine der ersten Aufgaben des GroKo-Nachfolgers sein, für den laufenden Reviewprozess eine deutsche Position zu formulieren. Und da die große Politik dann ja gewissermaßen sowieso im Thema ist, und es ja auch keine Zeit mehr zu verlieren gilt, sollte der Elan genutzt und auf nationaler Ebene Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Investitionen in das so genannte GigabitNetz begünstigen: Eine flächendeckende Versorgung Deutschlands mit glasfaserbasierten FTTB/H-Anschlüssen wird ein Preiskärtchen von irgendetwas zwischen 50 und 100 Mrd. € haben.

Mit sanftem Druck und behutsamer Förderung sollte sich sicherstellen lassen, dass auch Gebiete, in denen private Investoren nicht unbedingt Schlange stehen, nicht noch weiter digital abgehängt werden. Es wäre ja nur zu schade, wenn es den Buzzwords der diesjährigen Agritechnica ähnlich ginge wie dem Windstrom aus der Nordsee: wegen nicht ausreichend dimensionierter Leitungen sind Internet of Things und Big Data derzeit leider nicht verfügbar.

Tim Jacobsen

Ökologisch einwandfrei

Hinter dem etwas sperrigen Begriff der Opportunitätskosten verbirgt sich das was-wäre-wenn der Ökonomie. Und ähnlich wie im Märchen, wenn Aschenputtel trotz ausdrücklichem Verbots alleine auf den Ball des Prinzen geht oder das Mädchen in Frau Holle der Spindel hinterherspringt und erst dadurch am Grund des Brunnens das Glück entdecken kann, braucht es auch im echten Leben oftmals einiges an Leidensdruck, bevor Dinge in Bewegung geraten.

Die Fakten sind weithin bekannt: 25 Mrd. € und damit mehr als das nominale Bruttoinlandsprodukt etwa der Hälfte aller Länder weltweit haben wir Deutschen uns letztes Jahr die Erzeugung von Strom mit Hilfe von erneuerbaren Energien kosten lassen, etwa die Hälfte davon fiel allein für Solarstrom an; und das, obwohl die Sonne zum erneuerbaren Energiemix nur rund ein Viertel beiträgt.

Vergessen Sie nicht, bis zum 24. September ist nicht mehr lange hin. Mit den daran anschließenden Koalitionsverhandlungen nimmt die Diskussionsfreude unserer Volksvertreter erfahrungsgemäß schnell ab

Tim Jacobsen

Spätestens die Insolvenz der in Bonn ansässigen Solarworld machte zudem deutlich, dass es mit dem einstmals postulierten grünen Beschäftigungswunder nicht weit her sein kann: Ähnlich wie in Hochzeiten der Anlagenneuinstallation, als die heimische Produktion der Nachfrage nicht Herr werden konnte, wird wohl auch zukünftig ein Großteil der Module aus dem Ausland importiert werden müssen. Und sind die Anlagen einmal installiert, gibt es, anders als bei Windkraftanlagen beispielsweise, weder Wartungsbedarf noch Folgeaufträge.

Prof. Dr. Manuel Frondel, Leiter des Bereichs „Umwelt und Ressourcen“ am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, verdeutlicht die Schieflage in der gängigen Argumentation an einem absurden, nichts desto trotz einleuchtenden Argument: „Wäre Beschäftigung das oberste Ziel der Förderung grüner Technologie, gäbe es einen besseren Weg: Dann sollten hochbezahlte Rad- und Ruderprofis via vieler kleiner Generatoren den CO2-armen Strom erzeugen.“

Gleichzeitig darf man auch nicht aus den Augen verlieren, dass durch die erneuerbaren Energien zwangsläufig in der konventionellen Energieerzeugung Arbeitsplätze überflüssig wurden, vor allem auch im vor- und nachgelagerten Bereich. Dazu kommt, dass, von den so genannten stromkostenintensiven Unternehmen einmal abgesehen, Privathaushalte und Unternehmen gleichermaßen weniger Geld für Konsum und Investitionen zur Verfügung haben, was sich wiederum ebenfalls gesamtwirtschaftlich negativ bemerkbar macht.

Geld, das anders investiert hätte werden können. Zwar erreichten Bund, Länder und Kommunen letztes Jahr erstmals das bereits 1970 vereinbarte UNO-Ziel, wonach Länder 0,7 % ihres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe bereitstellen sollen. Allerdings gingen auch die Folgekosten des Flüchtlingszuzugs in diese Rechnung mit ein oder wie die Geschäftsführerin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, Renate Bähr, kommentierte: der Aufstieg Deutschlands zum „größten Empfänger seiner eigenen Entwicklungsausgaben“.

Für das Haushaltsjahr 2017 stehen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit 8,5 Mrd. € etwa zwei Drittel Summe zur Verfügung, die im gleichen Zeitraum von den Stromverbrauchern aufgebracht wird, um allein die im Rahmen des Solarbooms staatlicherseits eingegangenen Verpflichtungen abzuarbeiten. Ob die Bekämpfung von Fluchtursachen nicht nur eine wesentlich honorigere, sondern auch auf sein ganz egoistisch volkswirtschaftlich sinnvollere Investition gewesen wäre, wird die Zukunft zeigen.

Statt in Solaranlagen hätte beispielsweise auch in die Entwicklung leistungsfähiger Speichertechnologie investiert werden können. Es muss nämlich gar nicht unbedingt die Brechstange in Form des großflächigen Einsatzes technisch nicht ausgereifter Technologie sein, um dieser zum Siegeszug zu verhelfen, manchmal kann auch eine kleine Ursache große Wirkung haben: Wäre niemand gestolpert, hätte niemals das giftige Apfelstück aus Schneewittchens Hals rutschen können. Und die Stromverbraucher müssten nicht Monat für Monat in rotglühenden Eisenpantoffeln tanzen. Und es ist leider alles andere als ausgeschlossen, dass diese im Zuge einer staatlich verordneten E-Mobilität demnächst noch einmal an Temperatur zulegen.

Tim Jacobsen

Alle Probleme gelöst?

Am 3. September wird es stattfinden, das fünfte deutsche Fernsehduell zwischen dem Amtsinhaber bzw. der Amtsinhaberin und der Herausforderin bzw. dem Herausforderer – wobei unsere Bundeskanzlerin dank ihrer insgesamt vierten Teilnahme an einem solchen Fernsehformat mittlerweile wahrscheinlich sogar reif für einen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde ist. 2005, 2009 und 2013 konnte sich Dr. Angela Dorothea Merkel auf dem Weg ins Fernsehstudio zudem vermutlich ein Lächeln nicht verkneifen, schließlich brachte sie die Aufzeichnung just in den Berliner Ortsteil Adlershof, wo sie Jahre zuvor noch am Zentralinstitut für Physikalische Chemie ihre wissenschaftlichen Meriten verdient hatte.

Jeweils kurz nach dem Kanzlerduell und in unmittelbarer räumlicher Nähe dazu fand in den Jahren 2009 und 2013 jeweils auch ein so genannter Zukunftskongress Gartenbau statt. In ihrer Videobotschaft eingangs der Erstauflage forderte die damalige Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner dazu auf, eine „Strategie Gartenbau 2020“ zu formulieren. „Eine Strategie, die wir ernst meinen, die natürlich auch nach vorne blickt, und die uns attraktiv macht auch im Gespräch mit anderen Wirtschaftszweigen, Wissensgebieten und unserem Nachwuchs“, wie Mitorganisator Prof. Dr. Eckhard George es in seinen Schlussbetrachtungen formulierte. In der Folgeveranstaltung im Jahr 2013 war der Horizont dann bereits deutlich weiter gesteckt: Visionen für die Zeit bis 2030 waren gefragt. Was dabei herauskam, war mit dem sogenannten Bericht der Forschergruppe zum Zukunftskongress die bis dahin unbestritten umfassendste Zusammenstellung der Rahmenbedingungen und zukünftigen Herausforderungen für den Gartenbau.

Herrn Angela Merkels ‚Sie kennen mich‘ war 2013 wahrscheinlich wahlentscheidend. Nach abermals vier Jahren großer Koalition muss das ‚ja genau, darum‘ jeder für sich selbst interpretieren

Tim jacobsen

Hieß es 2009 noch „Forderungen an Politiker und Politik … formulieren wir leicht und gerne … Aber vielleicht sollten wir gleichzeitig auch einmal die Frage beantworten: was haben wir eigentlich der Öffentlichkeit und dem Ministerium zu bieten? Schließlich vertritt ja die Politik auch die Interessen der Bürger, unserer Kunden und der Steuerzahler. Und diese Anliegen der Gesellschaft, zum Beispiel im Klimaschutz oder einer gesunden Ernährung, sollten für uns möglichst eine Herausforderung und nicht ein Ärgernis sein“ gepaart mit der Erkenntnis „es ist wohl so, dass Wissenschaft zwar ein wichtiger Motor von Innovation sein kann, dass aber das Entdecken von neuen Wegen oder die Umsetzung neuer Ideen auch in vielen anderen Bereichen des Gartenbaus üblich und notwendig ist“, spiegelte der 2013er Bericht die Interessenlage der Teilnehmer am Kongress wieder.

Und unter den Teilnehmern fehlten nun ausgerechnet die, um die es eigentlich hätte gehen können: die Jungen, über deren Zukunft ja diskutiert hätte werden sollen. Oder die Praktiker, die ja eigentlich Nutznießer der Zukunftsstrategie Gartenbau sein sollten und die mit ihrer Innovationskraft und –freude tagtäglich dafür Sorge tragen, dass der deutsche Gartenbau wettbewerbsfähig ist und bleibt. Stattdessen wurden aus Wissenschaft und Forschung eben genau jene vier Jahre zuvor noch kritisch gesehenen „Forderungen an Politiker und Politik, insbesondere an das BMELV“ formuliert.

Von den Jungen und der gärtnerischen Praxis war auch beim unlängst, dieses Mal gut ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, abgehaltenen HortInnova Ergebnisworkshop wenig zu sehen. Ausgehend von „aktuellen und potenziellen Problemen in der gartenbaulichen Erzeugung“ sollte dort eine „in sich kohärente Strategie erarbeitet“ werden, die mittels „Forschungsaufrufen des BMEL“ dazu beitragen soll, auch „in Zukunft einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Gartenbau in Deutschland zu haben“. Kohärent war die diskutierte Strategie insofern, dass sich niemand außen vor gelassen fühlen musste – vom Steuerzahler einmal abgesehen, falls es demnächst tatsächlich Forschungsaufrufe und Zuweisungsbescheide zuhauf hageln sollte.

Wie leider auch für den 3. September zu erwarten ist, wurden beim Ergebnisworkshop hauptsächlich Aussagen an Statements gereiht – eine Pointierung, die gleichzeitig ja auch zwangsläufig eine Positionierung mit sich hätte bringen müssen, blieb weitestgehend aus. Und so war man sich wie auch bereits 2009 und 2013 schnell darüber einig, dass die Zukunft jede Menge Herausforderungen für uns Gärtner bereithält, wir denen aber im Prinzip am besten mit einem „Weiter so wie bisher“ begegnen sollten. Angela Merkels „Sie kennen mich“ war 2013 wahrscheinlich wahlentscheidend. Nach abermals vier Jahren großer Koalition muss das „ja genau, darum“ jeder für sich selbst interpretieren.

Tim Jacobsen

Noch ist nichts verloren

Herrn

Eigentlich ist es ja ganz einfach: soll bei einem Pflanzenschutzmittelwirkstoff die Zulassung verlängert werden, wird die Bewertung des entsprechenden Antrags ähnlich wie bei einer Neuzulassung einem EU-Mitgliedsstaat übertragen. Die zuständigen Behörden des Berichterstatter-Landes erstellen dann einen sog. Bewertungsbericht, der in Folge sowohl von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als auch den anderen Mitgliedsstaaten kommentiert werden kann. Das Ganze mündet dann wiederum in einer Stellungnahme, die anschließend die Grundlage für die Abstimmung des zuständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel ist (SCoPAFF) ist. Dass dabei allerdings nicht immer nur rein wissenschaftliche Aspekte eine Rolle spielen, beweist die Diskussion um die am 31.12.2015 abgelaufene Zulassung für den Wirkstoff Glyphosat.

Das politische Brüssel kann sich zurzeit kaum der Einladungen in die großen Packbetriebe im Süden der Niederlande erwehren

Tim Jacobsen

Dänemark hatte als Rapporteur Member State den zu den Wachstumsregulatoren zählenden Wirkstoff Maleinsäurehydrazid (MH) zur erneuten Bewertung zugeteilt bekommen. Mit dem Zulassungsende am 31.10.2017 noch in weiter Ferne, hatte nach Dänemarks Daumen hoch im Sommer 2015 niemand damit gerechnet, dass die Dinge auch anders kommen könnten. Zumindest so lange nicht, bis die EFSA auf den Plan trat und Ende April 2016 in ihrer Stellungnahme deutlichen Informationsbedarf anmeldete. Irgendwie schien dies aber erst einmal niemanden so richtig zu interessieren, vielleicht musste erst im Herbst die neue Zwiebelernte eingelagert werden, bevor deutlich wurde, wie abhängig zumindest Teile der Zwiebelwelt vom Einsatz dieses Keimhemmers sind.

Um die wirtschaftliche Bedeutung der Problematik zu verstehen, sollte man nicht nur an das Ende der Lagersaison denken: Gerade auch die frühen Zwiebelexporte profitieren von der Behandlung mit MH. Die Feuchtigkeit, die sich zwangsläufig beim Transport aus gemäßigten in wärmere Klimazonen auf den Zwiebeln niederschlägt, führt unbehandelt gewissermaßen zum Verlust jeglicher Keimhemmung. Und natürlich lässt sich die Verfügbarkeit von Zwiebeln bis zur neuen Ernte auch mit Ethylenbegasung oder der Installation von ausgefeiltem technischen Gerät sicherstellen, Problem ist und bleibt aber, dass die Zwiebel dann nach der Auslagerung am besten auch sofort verzehrt werden sollte.

Dies wäre nicht nur, aber vor allem auch auf den Absatzmärkten in den Exportdestinationen mehr als nur ein kleines Problem. Die großen niederländischen Zwiebelexporteure nehmen dann auch kein Blatt vor den Mund: „Wenn wir kein MH mehr benutzen können, ist Ende Dezember die Exportsaison vorbei“, „dann wird ein Großteil der niederländischen Anbau- und Verpackungskapazitäten überflüssig“ und „ohne MH steuern wir auf eine Katastrophe zu“. Und diese „Katastrophe“ hätte nicht nur Auswirkungen auf die direkt Betroffenen. Während es im Anschluss an die Ernte zu einer wahren Zwiebelflut kommen würde, gäbe es dann bspw. in manchen Teilen der Welt zu bestimmten Jahreszeiten schlichtweg keine Zwiebeln mehr zu kaufen, da niemand in der Lage sein wird, die europäischen Zwiebelexporte zu ersetzen.

Auf der Tagesordung der SCoPAFF Section Plant Protection Products – Legislation war für den 23. und 24. Januar 2017 unter Regulations for discussion auch Maleic hydrazide aufgeführt. Was Ende Januar in diesem Gremium genau besprochen wurde, lässt sich nicht in Erfahrung bringen. Nur so viel: Am 15. und 28. Februar wird erneut getagt, in der Sitzung am 22. und 23. März soll schließlich eine Entscheidung fallen. Und um nun im Nachhinein nicht in das Steinbrücksche „hätte, hätte, Fahrradkette“ einstimmen zu müssen, kann es zumindest nicht schaden, möglichst viele Pferde scheu zu machen. Die Kontaktdaten Ihres Europaparlamentsabgeordneten finden Sie unter http://bit.ly/1WpHtfy , die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit ist im italienischen Parma zuhause und der deutsche Abgesandte im Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ernannt.

Über den ganzen Aktionismus hinaus, kann es aber mit Sicherheit auch nicht schaden, sektorübergreifend Geld in die Hand zu nehmen, um in einer konzertierten Aktion nach Alternativen für MH zu suchen, um zumindest perspektivisch weniger abhängig von nur einem Wirkstoff zu sein.

Tim Jacobsen

Weit weg und doch so nah

Es ist schon einige Zeit her, dass die Niederländer im Achtzigjährigen Krieg den Stöpsel aus dem letzten noch intakt gebliebenen Deich an ihrer Südgrenze zogen und damit die Unabhängigkeit der Republik der Sieben Vereinigten Niederlande von der spanischen Krone markierten. Wahrscheinlich hätten die von den Wassermassen hauptsächlich betroffenen Bewohner der Ortschaft Saeftinghe samt Umgebung auf den sehr poetischen, aber mit nassen Füssen erkauften Ehrentitel „Verdronken Land van Saeftinghe“ seinerzeit gut verzichten können – noch dazu, da es dann ja knapp 350 Jahre dauerte, bis 1907 der Deich wieder dicht war und der Polder nach Herzogin Hedwig benannt wurde.

Als letztes dem Meer abgerungenes Stück Land im belgisch-niederländischen Grenzgebiet erlangte der Hedwigepolder einige Berühmtheit. Seit 2005 steht der Hertogin Hedwigepolder nun erneut im Rampenlicht: ähnlich wie Jahrhunderte zuvor, stehen die knapp drei Quadratkilometer symbolisch für Entwicklungen mit weit größerer Tragweite als nur die Frage, ob es sinnvoll sein kann, fruchtbarstes Ackerland zu fluten. In der ganzen Diskussion, die sich in gewisser Weise verselbständigt hat, geht es mittlerweile eigentlich auch um die Frage, wie wir zukünftig leben wollen.

2005 war das Jahr, indem sich die Niederlande und Belgien darauf einigten, genau auch dieses Stück Küstenlinie unter Wasser zu setzen, als Kompensation für das Ausbaggern der Westerschelde, das als notwendig erachtet wurde, um im olympischen größer-schneller-weiter Konzert der weltweit größten Häfen auch weiterhin mitspielen zu dürfen. 2019 muss alles fertig sein und alle mehr oder geschickten Versuche, alternative Lösungen zu finden, fanden in den Augen der Europäischen Kommission keine Gnade.

Flandern zog 2012 die Reißleine, was dazu führte, dass auch die Scheldeanrainer Niederlande Farbe bekennen mussten und die Enteignungsmaschinerie entlang der Hafenzufahrt in Gang setzten. Unter diesen Vorzeichen also kehrt Chris de Stoop, nachdem sein Bruder aus dem Leben geschieden und seine Mutter im Altersheim gelandet ist, nicht nur zurück auf den Hof seiner Jugend, sondern mittenrein ins Epizentrum dieser Entwicklung und beobachtet die Welt um ihn herum.

Diese Tragödien gibt es überall, das versteht man vielleicht nach der Lektüre von Chris de Stoops Buch „Das ist mein Hof: Geschichte einer Rückkehr“ besser

Tim Jacobsen

Hatte de Stoop in seinem Erstlingswerk „De Bres“ noch beschrieben, wie sich die Ortschaften und das Zusammenleben durch das Wachstum des Antwerpener Hafens verändern, überrumpelt er mit „Das ist mein Hof“ die Leser gleich mehrfach: zum einen mit einem bittersüßen Lob- und Klaggesang auf das traditionsreiche Bauernleben im Polder, zum anderen mit der Parallelität der Entwicklungen – es geht eben nicht nur um den Bauernstand, es geht auch um die kleinen Läden, um die Handwerker, die Verkäuferinnen, letztendlich um alles, was kein multinationaler Konzern ist.

Und es geht auch um globale Entwicklungen, wie Schriftstellerkollege Tom Lanoye in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Preises des unanhängigen Buchandels an de Stoop anhand einer Geschichte verdeutlichte, die er kurz zuvor in der südafrikanischen Tageszeitung „Die Burger“ gelesen hatte: ein Mann, der auf dem Jahre zuvor aufgenommenen Portraitfoto noch selbstsicher kraftvoll wirkte und Zuversicht ausstrahlte, gerät stets mehr in die Mühlen der Gegenwart: zu viele Schulden, zu große Konkurrenz, zu kleine Ernte, Dürre, keine Frau, Verbitterung und ein herzzerreißendes Ende, dessen Eintreten er selbst bestimmt. „Diese Tragödien gibt es überall, das versteht man vielleicht nach der Lektüre von Chris de Stoops Buch besser.“

Und es geht darum, was Natur eigentlich ist. Für de Stoop lässt sich Natur und Landwirtschaft nicht auseinanderdividieren. Die „Bauernnatur“ nennt er dies. Dem gegenüber steht, was er die „Neue Natur“ nennt. De Stoop erklärt, was er damit meint, am Beispiel der renaturierten Grote Geule: „Auf etwas mehr als einem Kilometer Flusslauf stehen wahrscheinlich ein Dutzend Schilder, auf denen zu lesen ist, warum dieses Gebiet so bedeutsam ist. Je mehr Schilder stehen, umso mehr verliert sich allerdings der Bezug: Ich darf kucken, ich lerne was, aber ich bin kein Teil der Natur mehr.“

Mit 600 ha in den Niederlanden und 1100 ha in Belgien sollen die Hafenausbreitung und die Fahrrinnenvertiefung kompensiert werden. Eine Koalition aus Naturschützern und Hafenbetreibern hatte sich darauf verständigt, fünf Prozent des Hafengebietes als Naturschutzfläche auszuweisen. De Stoop klassifiziert die „Neue Natur“ als Fälschung, wie ein Kunstwerk, das nicht echt ist: „Warum muss der Landstrich mit den dicksten Rindern der Welt einer Natur weichen, deren Sinn es scheint, auf den Evaluierungsbögen ihrer Macher eine möglichst hohe Punktzahl zu erreichen. Natur, wie ein Container, der mal hier mal hier aufgestellt werden kann?“

Es kann natürlich sein, dass es das, was de Stoop sucht, vielleicht gar nicht mehr gibt, vielleicht auch nie gegeben hat und sich überdüngte Maisäcker, eingeebnete Kartoffelfelder samt todgespritzter Grachten dazwischen ja auch nicht einfach so wegdiskutieren lassen. Weshalb dann das Spannungsfeld vielleicht letztendlich auch weniger im Schnittbereich zwischen Naturschutz und Landwirtschaft, sondern vielmehr im Aufeinandertreffen von Tradition und Moderne, Geschichte und Gegenwart liegt – und eben auch in der Frage, wie wir den gerne leben wollen. Ein sehr lesenswertes Buch.

Tim Jacobsen

Medienschelte – einmal positiv

Die Geschichte des Nördlinger Ries´ ist für sich genommen schon äußerst spektakulär: rund 1,5 km Durchmesser soll er gehabt haben, der Himmelskörper, der sich vor gut 14 Mio. Jahren ausgerechnet in das bayerisch-schwäbische Grenzgebiet verirrte – das durch den Aufprall entstandene Binnengewässer in Bodensee-Größe hatte in den Folgejahren viel Zeit zu verlanden und prunkt heute mit besten Böden.

Die Tracht im Ries ist speziell, der Dialekt auch. Wobei der Rieser Bauernkittel von weitem bereits leicht erkennbar ist, der Dialekt eher weniger. Denn, und das wird in Aaron Lehmanns „Die letzte Sau“ schnell deutlich, Plaudertaschen sind sie eher nicht, die Bewohner des weltweit am besten erhaltenen Impaktkraters. Einen passenderen Ort hätte Lehmann dann auch kaum finden können, um dem sog. Bauernsterben ein Gesicht zu geben – und dabei weder auf die Tränendrüse zu drücken noch in Betroffenheitsgedöns zu verfallen.

„Eigentlich scho a wahnsinns Aufwand für a bissle Wurscht. Wenn man sich das amal vorstellt“

Bauer Huber

Mit grimmigem Humor wird die Geschichte eines braven und rechtschaffenen Mannes erzählt, der irgendwann merkt, dass er mit seinem kleinen Hof gegen die Großbauern nicht anstinken kann – und die Rieser Stammtischlosung „schlimmer kos nemma wera“ dem Realitätscheck leider nicht standhält:

Als der Bauer Huber eines Tages aufsteht, sein Bett zusammenbricht, die Dusche kalt bleibt, die Schubkarre einen Platten hat, die Freundin Richtung Osten verschwunden ist und die Hausbank sich wenig kooperativ zeigt und die Kreditverhandlungen zudem überschattet werden vom Ableben des Metzgers Willi, der von dem ebenfalls über ihm kreisenden Pleitegeier zum Banküberfall angestiftet wurde, werden diese kleinen und großen Schicksalsschläge noch getoppt vom Meteor, der ausgerechnet während der Bestattung von Hubers bestem Freund Willi im Huberhof einschlägt und dem Huber bis auf sein „Moped“ und die filmnamensgebende „letzte Sau“ alles nimmt bzw. alles in Bewegung setzt.

In entfernt an Karl May erinnernder landestypischer Kleidung begibt sich Huber mit der Sau im Beiwagen auf eine – seine – Reise und begegnet dabei den unterschiedlichsten Menschen: sarkastisch, anarchisch, urkomisch und todtraurig stellt „Die letzte Sau“ mit der Leichtigkeit, mit der die Handlung springt, und die in starkem Gegensatz zum sprachlichen Schwermut steht, Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt: Wer sind die Guten, wer sind die Bösen? Wer ist Opfer, wer ist Täter?

Die Angst, dass dies alles in der billigen Polemik einer Groß-Klein- bzw. Chemisch-Ökodialektik enden könnte, ist unbegründet. Denn Huber begegnet den Menschen unvoreingenommen, und auch wenn nicht viel geredet wird, wird doch viel gesagt. Zu Beginn seiner Reise trifft Huber beispielsweise. einen frischgebackenen Imker, dem man zwar nicht unbedingt zutraut, auf eigenen Füßen bis zum nächsten Ortsschild zu kommen, dessen Losung „Die Welt ist ein dunkler Ort, deshalb müssen wir Leuchtfeuer anzünden“ gleichwohl in gewisser Weise die Filmhandlung vorwegnimmt.

Diese Leuchtfeuer führen im weiteren Verlauf dann tatsächlich zu dem vom Erzähler Filmeingangs versprochenen „Märchen vom Bauern Huber und wie er ein rechtes Durcheinander gemacht hat“.

Und ob das Ganze dann in dem Ende September in die Kinos gekommenen Film noch ein gutes Ende nimmt, sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: Mehr als jede `Wir machen frisch´, `sauber´, `zart´ oder `Dein Frühstück´-Kampagne setzt der Film in den Zuschauern etwas in Gang, etwas im Sinne eines `ist der Bauer in dem ihm abverlangten Spagat zwischen artgerecht und billig nicht vielleicht sogar die ärmste Sau von allen´?

Und auch, wenn nicht jeder den Mut aufbringt, aus dem „so gots net weida“ des Filmes direkt Konsequenzen zu ziehen, sind es die sprichwörtlichen Tropfen auf die Kraterwand, sich Gedanken über das eigene Handeln zu machen:

Was kann man beispielsweise selbst dazu beitragen, dass es den Bäcker mit den besten Brezen und den Obst- und Gemüsehändler mit dem frischesten Salat und den knackigsten Äpfeln auch morgen noch gibt? Schließlich hilft jeder kleine Tropfen oder wie Hubers Freundin Birgit am Ende des Filmes resümiert: „Mei Huber. Vorher wars o it super. I find´s jetzt besser. Isch o it super, aber besser.“

Tim Jacobsen

Fazit: „Eigentlich scho a wahnsinns Aufwand für a bissle Wurscht. Wenn man sich das amal vorstellt“

Krimkrise, Brexit, Putsch und Terror: Zeit für großes Drama

Hamlet lässt grüßen: Da werden erst unheilvolle Allianzen geschmiedet, um überhaupt an die Macht zu kommen. Dann wird im Glücksgefühl, diese Macht ausbauen zu können, die allgemeine Stimmungslage falsch interpretiert und schon ist er da, der Scherbenhaufen. Hilft wohl nichts, denken sich die dafür Verantwortlichen, besser einmal weggeduckt und den Schlamassel anderen überlassen. Aber halt, hatte Remainbefürworter James Cameron denn nicht eigentlich auch selbst immer alles schlecht gemacht, was aus Brüssel kam? Um dann gewissermaßen durch Wunderheilung zum Supereuropäer mutiert innerhalb weniger Wochen zu versuchen, das britische Stimmungsruder in Richtung Europa herum zu reißen?

Oder hat Europa nicht doch auch an manchen Punkten klar versagt? Ist es uns Europäer gelungen, zu den Entwicklungen in Russland oder der Türkei eine nennenswerte Haltung zu entwickeln? Klar, es dürfen seit dem 12. September 2014 keine „Produkte für die Ölexploration“ mehr in Richtung Osten ausgeführt werden, zu Beginn der EU-Sanktionen waren davon sogar Stihls Erdbohrgeräte sowie Kettensägenersatzteile betroffen – aber hat es sich dafür gelohnt, die Märkte für landwirtschaftliche Produkte auf Talfahrt zu schicken?

Es wird immer wieder behauptet, dass es keine demokratischen Strukturen in Brüssel gibt – in Wahrheit gab es aber noch nie mehr Demokratie

Tim Jacobsen

  Und gibt es denn die ganze Migrationsdiskussion tatsächlich erst, seitdem Flüchtlinge am Münchener Hauptbahnhof angekommen sind? Oder hatte nicht Italien schon seit längerem versucht, das Flüchtlingsthema auf die europäische Agenda zu setzen, wurde dann aber stets ausgebremst, auch von uns. Die Bevölkerung Europas soll mit 500 Millionen Einwohnern auf Jahre hinaus stabil bleiben, anders die Lage südlich des Mittelmeeres: Aus der einen Milliarde Menschen sollen spätestens gegen Mitte des 21. Jahrhunderts eineinhalb geworden sein, auf der Schwelle zum 22. Jahrhundert könnten den 500 Millionen Europäern dann schon zwei Milliarden Afrikaner gegenüberstehen.

Wie wollen wir die davon abhalten, zu uns kommen zu wollen, ohne dass, wie es immer so poetisch heißt, unsere Menschlichkeit Schaden nimmt? Und wie gleichzeitig sicherstellen, dass diejenigen, die sich auf der Flucht befinden, auch weiterhin Zugang zu uns haben? Wie könnte eine Angleichung der Lebensverhältnisse gelingen? Wie soll das zwischen Kontinenten funktionieren, wenn es schon innerhalb Europas unmöglich und selbst innerhalb unserer Bundesrepublik diskussionswürdig scheint? Funktioniert Europa nicht schon immer in verschiedenen Geschwindigkeiten, auch wenn die politische Losung anders lautet?

Warum ist Osteuropa eigentlich – anders als noch vor zehn Jahren – ein Austragungsort europäischer Begeisterung mehr? Konnte nicht vielleicht der Absturz nur kommen, weil die Wachstumskurve in den Jahren zuvor stets steil nach oben zeigte? Und waren nicht auch Spanien und Portugal, als dort noch Diktatoren das Sagen hatten, bettelarme Länder? Wie würde die Welt heute aussehen, hätte Großbritannien nicht nach der Besetzung Frankreichs bis zum Kriegseintritt der UdSSR allein auf weiter Flur Widerstand gegen Hitlerdeutschland geleistet? Wie würde unsere Welt aussehen, wenn es nach den ganzen Krakeelern ginge? Erledigen nicht eigentlich die, die Angst haben vor den EU-Gegnern, deren Geschäft? Haben wir unseren Wohlstand denn nicht auch der Freizügigkeit – einem der europäischen Grundpfeiler schlechthin – zu verdanken?

„Europa ist nicht das Paradies, aber der bessere Teil der Welt“, erklärte Navid Kermani unlängst im Gespräch mit Norbert Lammert. Die beste Erklärung dafür, was Europa ausmacht, fiel im weiteren Verlauf an diesem denkwürdigen Abend im Bonner Haus der Geschichte dann allerdings weitgehend unbemerkt: „Es gibt in Istanbul genauso wie in Indonesien und im Libanon Menschen, die europäisch denken und fühlen.“ Und da waren sie, die Ideen der Aufklärung, die hoffentlich stärker sind als alle Nizzas, Würzburgs, Ankaras, Ansbachs und Rouens dieser Welt – und die hoffentlich auch die hartgesottensten Schnäppchenjäger unter den europäischen Politikern zur Vernunft bringen.

Vernunft, die dieser Tage generell Mangelware geworden zu sein scheint: wie lässt es sich anders erklären, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen am Abend des Münchner Amoklaufs stundenlang Twittermeldungen zitiert, als wären diese 140 Zeichen langen Mitteilungen der Stein der Weisheit – und wie konnte es so weit kommen, dass die relativ vagen Aussichten auf weibliche Gesellschaft im Paradies mittlerweile einhergehen mit dem konkreten Versprechen augenblicklicher Berühmtheit.

Tim Jacobsen

Macht was draus: Klappern gehört zum grünen Handwerk

Stille Wasser sollen angeblich tief sein: Sich rar zu machen, um dadurch interessant zu wirken, mag vor ein, zwei Generationen noch das Geheimrezept für eine erfolgreiche Balz gewesen sein. Heutzutage geht diese Rechnung allerdings nicht mehr auf, zu vielfältig sind die Alternativen – dies gilt für die Liebe genauso wie für Sportgroßereignisse im Buhlen um Aufmerksamkeit oder Berufssparten im Kampf um den Nachwuchs.

So gesehen hat der Produktionsgartenbau dann so einiges gemein mit einer Hochseeregatta. Bis vor wenigen Jahren waren Segelrennen das Meeresäquivalent der 50 km Rennen der Skilangläufer zu Zeiten des Kalten Krieges. Die Wettkämpfe wurden jeweils am Ende einer Sackgasse gestartet, danach verschwanden Läufer und Crews in einem Wald oder hinter dem Horizont, um entweder am selben Punkt oder an einem anderen Sackgassenende in Reihenfolge ihrer Platzierung wieder zum Vorschein zu kommen.

Mittlerweile wurden im Skilanglauf die großen Wälder abgeschafft, die medaillenträchtigen Wettbewerbe ähneln heutzutage Trabrennen mit integriertem Auf und Ab. Neuartige Formate wie die Mixed-Staffelwettbewerbe oder die Kombination verschiedener Lauftechniken haben dazu beigetragen, Skilanglauf gegen äußerst starke Konkurrenz im Hauptprogramm zu halten.

Es geht um Mut, es geht um Leidenschaft, es geht um Stolz – es geht um Menschen, die bereit sind, ein kleines bisschen mehr zu wagen

Tim Jacobsen

Nicht ihren Stellenwert halten, sondern mediale Aufmerksamkeit überhaupt erst gewinnen, mussten die Haudegen der Weltmeere: Vor wenigen Jahren zeigten noch nicht einmal Exotensender in Programmnot Austragungen des America´s Cups. Die Verlegung der Austragungsorte in die Buchten von Auckland, Valencia und San Francisco sorgte dann für Publikum ohne Ende, die Einführung fliegender Katamarane für Spektakel satt und Liveschalten zur besten Sendezeit.

Beim Volvo Ocean Race – der zweitwichtigsten Rennserie auf hoher See – ist eine Verlegung des Veranstaltungsortes nicht möglich, nicht zuletzt lässt sich eine Regatta rund um den Globus nun einmal nicht in einem etwas größeren Hafenbecken durchführen. Auch kämen die Zweirümpfer schnell an ihr Ende, könnte man nicht bei Starkwind die Segel, die in Wirklichkeit vertikal montierte Flügel sind, einfach abmontieren und sicher an Land verstauen; nicht zuletzt gibt es im Südpolarmeer nun einmal keine Versteckmöglichkeiten.

Den Organisatoren des Volvo Ocean Races blieb also nur, das ursprüngliche Format beizubehalten und sich darauf zu konzentrieren, was dieses Rennen so einzigartig macht – um danach dann einmal zu überlegen, wie sich die Jungen und Junggebliebenen denn überhaupt erreichen lassen. Radio, Fernsehen, Zeitung? Kommunikationschef Jon Bramley winkt ab: „Junge Leute sind da kaum noch unterwegs.“

Mit Facebook, YouTube und Twitter dagegen lässt sich nicht nur die Zielgruppe tatsächlich erreichen, der finanzielle Einsatz hält sich auch im Rahmen, solange der Inhalt stimmt – und der ist im Falle des Volvo Ocean Race schnell erzählt, wie Bramley am Rand der `boot´ in Düsseldorf betont: „Es geht um Mut, es geht um Leidenschaft, es geht um Stolz – es geht um Menschen, die bereit sind, ein kleines bisschen mehr zu wagen.“

Den Rennverlauf des vorletzten Volvo Ocean Race verfolgten weltweit 1,6 Mrd. Zuschauer. Das lag mit Sicherheit nicht nur an den bis zu 16 m hohen Wellen, denen die knapp 22 m langen Plastikschüsseln ausgesetzt waren, oder den Spitzengeschwindigkeiten von über 80 km/h, die erreicht wurden. Es lag mit Sicherheit auch nicht nur daran, dass Text, Bild, Ton und Video in einer Form aufbereitet wurden, die die Arbeit der Kollegen in den großen Agenturen beträchtlich erleichterte.

Es war auch nicht nur der bis zum Ende der letzten Etappe unklare Rennausgang oder Katastrophen wie der Mastbruch der AbuDhabi und die Pechserie der Sanyia – es waren vor allem die Kommunikationsprofis an Bord der einzelnen Schiffe, die den Zuschauerinnen und Zuschauern diese ihnen doch recht fremde Welt erschlossen und die maßgeblichen Anteil daran haben, dass das Hochseesegeln in Imageanalysen mittlerweile Formel 1 und Tour de France hinter sich lässt.

Es war unser westliches Nachbarland, das dem Publikumsmagneten Kom in de Kas Anfang April dieses Jahres das Motto „Gartenbau ist Hochleistungssport“ umhängte. Ein Mantel, der auch den deutschen Gärtnern gut steht. Konsequent kommuniziert, sollten sich damit die drängendsten Probleme beinahe wie von selbst lösen lassen. Schließlich herrscht im Gartenbau an Mut, Leidenschaft, Stolz und Menschen, die bereit sind, ein kleines bisschen mehr zu wagen, kein Mangel.

Tim Jacobsen

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »